El Sistema - so wird in Venezuela das Netzwerk aus Kinder- und Jugendorchestern genannt, das vor mehr als 30 Jahren gegründet wurde. Fast 300.000 junge Menschen nehmen mittlerweile an diesem Sozialprojekt teil, dessen Ziel es ist, mit der Kraft klassischer Musik den Teufelskreis von Armut, Gewalt und Kriminalität in den illegalen Vorstadtsiedlungen des Landes ("Barrios") zu durchbrechen. Paul Smaczny und Maria Stodtmeier suchen in ihrem Dokumentarfilm José Antonio Abreu, Gründer der Orchesterbewegung und mittlerweile eine Art Nationalheld, sowie Musiklehrer/innen, Kinder und Jugendliche auf und zeigen, was die Musik für sie bedeutet und wie sie ihr Leben verändert.
Das Besondere und Beispielhafte des Projekts ist, dass Gewalt nicht mit Gegengewalt, Gesetzen oder Regeln beantwortet wird, sondern mit Kunst. Die Musik bietet Raum zum Selbstausdruck und setzt kreative Energien frei, gibt Ziele und Orientierung – und ganz nebenbei schult sie in den Orchestern und Chören auch die Disziplin und ein Gefühl für Zusammengehörigkeit jenseits von Banden, Klassen oder Schichten. Trotz aller Begeisterung der Beteiligten für diese folgenreiche Vision bleibt der Dokumentarfilm allerdings überraschend nüchtern und steht auch visuell hinter anderen leidenschaftlichen und politisch relevanten Musikdokumentationen wie etwa
Rize - Uns hält nichts auf!(David LaChapelle, USA 2005) deutlich zurück.
So wirken die
Totalen, in denen die trostlosen Vorstädte zu sehen sind, vielmehr wie Zwischenschnitte, ohne die Protagonisten/innen wirklich in ihrem Lebensumfeld zu verorten. Den Schwerpunkt hingegen bilden die in nahen und halbnahen Einstellungen aufgenommenen Interviews, die zwar eine große Nähe herstellen, aber auch sehr an Fernsehästhetik erinnern. In der Informationsfülle und der Vielzahl der Schicksale regt der Dokumentarfilm jedoch zu einer Beschäftigung mit Auswegen aus Armut und Gewalt sowie den Lebensverhältnissen in Südamerika an – und natürlich mit der Bedeutung von Musik, die dort nicht künstlich in ernst oder unterhaltsam, traditionell, klassisch oder modern unterteilt wird und viel tiefer mit dem Lebensgefühl verbunden ist.
Autor/in: Stefan Stiletto, 14.04.2009
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