Christine ist an Multipler Sklerose erkrankt und an den Rollstuhl gebunden. Um ihrer Isolation zu entfliehen, schließt sie sich einer Reisegruppe des Malteserordens in den französischen Wallfahrtsort Lourdes an. In einem streng reglementierten Tagesablauf nimmt sie an allen Messen, Prozessionen und rituellen Waschungen teil. Plötzlich scheint sich tatsächlich ein Wunder zu ereignen: Aus eigener Kraft kann sich Christine eines Nachts vom Bett erheben und wieder selbstständig gehen. Ihre Umgebung reagiert ambivalent auf diese Sensation: Euphorie und Hoffnung mischen sich mit Neid, Glauben mit Zweifel.
Lourdes wurde zu großen Teilen an Originalschauplätzen gedreht, ist jedoch kein religiöser Film. Vorurteilsfrei, mit großer ästhetischer und inhaltlicher Klarheit, erzählt Jessica Hausner von der Sehnsucht nach tieferer Bedeutung und innerer Erfüllung. Durch die Augen der Protagonistin erlebt das Publikum einen perfekt durchorganisierten Wallfahrtsbetrieb, in dem man sich der Gnade Gottes schicksalsgläubig ergeben muss. Ein wichtiger Handlungsfaden ist die kommerzialisierte Religiosität samt käuflichen Marienstatuen und "heiligem Wasser“. Die
Montage verbindet statische
Totalen und dynamische
Kamerabewegungen zu ruhig rhythmisierten Szenenfolgen. Eine ausgefeilte
Farbgestaltung (weiß, blau und rot sind die dominierenden Farben) und wenig
Musik vervollständigen den Eindruck eines stilbewussten und zugleich authentischen, bisweilen
dokumentarisch wirkenden Films.
Lourdes wirft existenzielle Fragen auf nach dem Sinn des Lebens, der eigenen Identität und religiösen Überzeugungen. Davon ausgehend bietet der Film gute Ansatzpunkte, um solche Themen, die in der Phase der Persönlichkeitsbildung für Jugendliche relevant sind, im Unterricht zu vertiefen. Auch die ungewöhnliche ästhetische Gestaltung sollte hier beispielsweise im Hinblick auf die Sehgewohnheiten der Schüler/innen besprochen werden. Zudem können Heranwachsende über die Erwartungen der sechs Millionen Menschen diskutieren, die jährlich in den Wallfahrtsort kommen, und diese zu eigenen Hoffnungen und Wünschen in Bezug setzen. In seiner Komplexität regt der Film nicht zuletzt zur Reflektion über die Institution Kirche, den Katholizismus, den Mythos "Wunder" und den Kommerz mit gläubigen Kranken an.
Autor/in: Kirsten Liese, 21.01.2010
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