Berlin-Gropiusstadt, Sommer 2003. Die Hitze steht zwischen den Hochhäusern der
Großwohnsiedlung, das Gras ist trocken und über die Gesichter von Lukas, Gino, Julius und Sanchez rinnt Sommerschweiß. Zuhause gibt es jede Menge Stress, das Geld ist knapp und die Sorge groß, irgendwann in irgendetwas reingezogen zu werden. Als Lukas eines Morgens ohne Schülerausweis vor der Schule steht, wird ihm der Zutritt verwehrt – ihm, der die 9. Klasse auf keinen Fall wiederholen will. Genervt schließt er sich Gino und Julius an, im Park "Bräute schauen" und "Weed besorgen". Doch plötzlich stecken sie in einer Schlägerei. Am Ende hat Lukas heftig "auf die Fresse" bekommen und soll 500 Euro Schutzgeld zahlen. Wofür genau, weiß er nicht. Ebenso wenig, woher er das Geld nehmen soll. Doch Sanchez hat eine Idee: Wenn sie die neuen Computer der Schule klauen und verticken, wären sie die Schulden los. Es ist der Beginn einer Geschichte, bei der es um viel mehr geht als nicht aufzufliegen – um eine gespaltene Gesellschaft und das Gefühl, nicht dazuzugehören, um erwachsene Kinder und aufgeriebene Eltern, um Bandenrivalität und das Motto "Der Klügere tritt nach", aber auch um Freundschaft und den gemeinsamen Kampf der Ausweglosigkeit zu trotzen.
"Alles war genauso. Vielleicht aber auch anders." Mit
Sonne und Beton bringt Regisseur David Wnendt (
Kriegerin, D 2011) den autofiktionalen
Erfolgsroman von Autor und Podcast-Moderator Felix Lobrecht auf die Leinwand. Das
Drehbuch schrieben Lobrecht und Wnendt gemeinsam. Entstanden ist ein rauer Film mit schnellen
Schnitten, harten Dialogen und intensivem
Soundtrack. An die 2000er-Jahre erinnert außer alten
Nokia-Handys und großen Computern wenig. Betongrauer Realismus und grelle Musikvideo-Ästhetik wechseln sich mit
Drohnenaufnahmen und ausdrucksstarken
Nahaufnahmen von Jungengesichtern ab. Letztere geben wieder, wofür es keine Worte gibt. Dritte Erzählebene im Film ist die Musik, zum größten Teil Deutschrap der damaligen Zeit und von heute. Sie fügt sich – wie im Titelsong "Hinterm Block" des Berliner Rappers Luvre47, der zugleich Lukas‘ großen Bruder spielt – symbiotisch zwischen die schonungslosen Bilder und Dialoge ein. An stereotypen Darstellungen kommt
Sonne und Beton nicht ganz vorbei. Dem setzt Wnendt jedoch starke Geschichten und eine überzeugende Besetzung entgegen. Der Cast besteht mehrheitlich aus Laiendarsteller/-innen, gesucht über Streetcasting und Social Media und in vielen
Szenen von Komparsen/-innen aus dem Kiez unterstützt.
Egal ob nachgeben oder nachtreten – der Ausweg ist schwer. Das verstehen mit
Sonne und Beton auch diejenigen, die die Lebensrealität sogenannter "sozialer Brennpunkte" nicht selbst kennen. Anhand des Films lassen sich im Politik- oder Sozialkundeunterricht Zustände und Effekte einer durch Armut und sozialräumliche Segregation gespaltenen Gesellschaft betrachten. Ausgehend von der Beziehung der Jungen untereinander, die von Nachbarn zu engen Freunden und viel zu schnell erwachsen werden, ihren je eigenen Familienkontexten oder den Verhältnissen zwischen den Mitgliedern verschiedener Gruppen (zum Beispiel Banden, Lehrpersonal) kann dabei unter anderem über strukturelle Benachteiligung und Formen des Zusammenhalts, über Gewalterfahrung (in der Schule, auf der Straße, in der Familie), toxische Männlichkeitsbilder oder die Folgen von Arbeitslosigkeit und Drogenmissbrauch gesprochen werden. In den musischen Fächern lassen sich die Filmmusik und ihre Funktion betrachten. Texte können analysiert, die Kraft und Macht von Sprache und Sprachfertigkeit diskutiert und die auch im Film formulierten Rollen- und Frauenbilder hinterfragt werden. Anhand von Schlüsselszenen lassen sich daran anknüpfend Wünsche und Hoffnungen der Protagonist/-innen erörtern.
Autor/in: Lisa Haußmann, 02.03.2023
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