Nach seinem erfolglosen Versuch als Maler in Paris Fuß zu fassen, verlässt Vincent van Gogh Anfang 1888 die Kunstmetropole und geht nach
Arles in die Provence. Unter dem Eindruck der mediterranen Landschaft und ihres Lichts malt er dort wie im Rausch Bild um Bild und erreicht eine ungekannte Ausdruckskraft. Gleichwohl bleibt er isoliert und unverstanden, und in seiner Einsamkeit suchen den Künstler alte Ängste und Wahnvorstellungen heim. Ein Besuch Paul Gauguins weckt in ihm neue Lebensgeister. In ihrem grundverschiedenen Temperament stacheln sich die Malerfreunde bei ihrer Arbeit gegenseitig an, liefern sich aber auch heftige Kontroversen. Als dann Gauguin seinen Abschied ankündigt, hat das fatale Folgen: Van Gogh erleidet einen psychischen Zusammenbruch und begibt sich in die Nervenheilanstalt von Saint Rémy. Nach seiner Entlassung verlässt er die Provence und zieht in das Dorf Auvers nahe Paris, wo er einige Monate später im Juli 1890 unter dubiosen Umständen an einer Schussverletzung stirbt.
Die letzten Lebensmonate van Goghs sind wiederholt im Kino erzählt worden. Mit
Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit schuf Julian Schnabel, selbst Künstler von internationalem Renommee, ein feinfühliges Porträt des Malers, das mit gängigen
Biopics nur wenig gemein hat: Statt die bekannten Stationen aus Van Goghs Leben in einer dramatischen Erzählung abzuklappern, fügt der Film
Szenen elliptisch aneinander, die zwar, so
Co-Autor Jean-Claude Carrière, fiktional seien, sich aber ereignet haben könnten. Zumeist zeigen sie unspektakuläre Situationen – Van Gogh im Gespräch, beim Wandern oder beim Malen in der Natur –, die seine Unrast, seine sensible Wahrnehmung und die Quellen seiner Inspiration eindringlich vermitteln. Regisseur Schnabel und seinem Kameramann Benoît Delhomme, die größtenteils an
Originalschauplätzen drehten, gelingt dies nicht zuletzt durch den kreativen Einsatz einer
Handkamera, die sich dem Protagonisten stark annähert und immer wieder
seinen Blickwinkel einnimmt. Gekippte Standpunkte,
Unschärfen, Verzerrungen, Gegenlicht und ein sprunghafter
Schnitt betonen dabei immer wieder die subjektivierte Perspektive und verstärken den Eindruck einer impressionistischen Unmittelbarkeit. Wirkungsvoll ergänzt wird die Bildebene durch exzellente Dialoge, die nicht zuletzt von Briefen van Goghs inspiriert sind und die einen tiefen Einblick in seine künstlerische Vision und seine spirituell geprägte Gedankenwelt geben.
Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit, Szene (© DCM)
Es liegt nahe, dass sich
Van Gogh – auf der Schwelle zur Ewigkeit im schulischen Kontext für den Kunstunterricht anbietet. Aufgrund der anspruchsvollen Form empfiehlt sich dabei ein Einsatz in höheren Jahrgängen und leistungsstärkeren Klassen. Über die Auseinandersetzung mit van Goghs künstlerischem Prozess hinaus, erscheint es lohnenswert, van Goghs impulsiv-spontanes Malen vor dem Objekt im Vergleich zu Gauguins handwerklicherer Herangehensweise zu thematisieren – Schnabel stellt diese unterschiedlichen Methoden sehr überzeugend gegenüber. Um hingegen verschiedene Ansätze von Künstlerbiografien zu diskutieren und zu problematisieren, könnte der Film als Gegenbeispiel zu Vincente Minnellis berühmtem
Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft (USA 1956) dienen, der das Leben des Malers als
farbenprächtiges Hollywooddrama inszeniert – und maßgeblich zur Legendenbildung beigetragen hat.
Autor/in: Jörn Hetebrügge, 16.04.2019
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