Hubert ist 17 Jahre alt und steckt in den Nachwehen der Pubertät. Seit zehn Jahren zieht ihn seine Mutter Chantal alleine auf; er hat nur selten Kontakt zum Vater. Inzwischen hat sich die einst geliebte Mutter jedoch zur Feindin entwickelt. Hubert hasst ihre kitschige Wohnung, die geschmacklosen Kleider, was sie tut und wie sie isst. Fast jede gemeinsame Situation eskaliert in Wutausbrüchen. Verständnis findet Hubert nur bei seiner ersten Liebe Antonin und bei einer Lehrerin, deren Kindheit ähnlich konfliktbeladen war. Kunst und Literatur öffnen Hubert Freiheitsräume, doch dann schicken ihn seine Eltern ins Internat.
In seinem Filmdebüt verarbeitet Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller Xavier Dolan seine Biographie. Der damals 19-Jährige fokussiert die Probleme des Erwachsenwerdens und die Entdeckung der eigenen Homosexualität in atemberaubend ehrlichen Dialogen. Filmsprachlich zelebriert Dolan die quälende Hassliebe zur Mutter auf mehreren Ebenen: rotstichige
Rückblenden zeigen glückliche Kindheitstage, Schwarz-Weiß-
Sequenzen aus Huberts Video-Tagebuch schaffen Intimität. Er arbeitet mit
Zeitlupen,
Detailaufnahmen und einem emotionalisierenden
Soundtrack. Um Huberts selbstempfundene Isolierung zu verdeutlichen, rückt ihn die Kamera bisweilen an den Bildrand und konzentriert sich auf die Leere zwischen ihm und Chantal. Nebenbei verwebt Dolan durch Ausstattung und Dialoge Referenzen an seine Idole: an den Maler Sydney Pollack, den Poeten Arthur Rimbaud und an den Regisseur François Truffaut.
Hubert weiß genau, wohin es ihn zieht: zur Kunst, zu Männern, zu freiem Denken. Als er erkennt, dass er seine hohen Maßstäbe nicht auf Chantal anwenden kann, schämt er sich ihrer und beginnt sie zu hassen. Leidenschaft und Selbstüberschätzung reiben sich an der heimischen Enge und eskalieren in heftiger Rebellion. Die typischen Reaktionen Heranwachsender sowie Huberts Coming-out laden zur Analyse im Ethik- und Sozialkundeunterricht ein. Auch die Betrachtung der künstlerischen Referenzen lohnt für den Deutsch- und Kunstunterricht: Welche Vorbilder hat Dolan und weshalb werden sie in seiner Lebensphase so bedeutsam? Spannend ist auch für den Fremdsprachenunterricht die Beschäftigung mit Dolans Filmsprache: Wie gelingt die Vermittlung von Charakteren und die Zuspitzung der Konflikte?
Autor/in: Cristina Moles Kaupp, 12.01.2011
Mehr zum Thema auf kinofenster.de: