Eine Geschichte aus dem alten China
China zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Der ehrenwerte Schwertkampf-Meister Li Mu Bai hat sich entschlossen, sein Dasein als Krieger zu beenden und sein Jade-Schwert, das unbesiegbar machen soll, dem Hohen Rat Te in Bejing zu schenken. Überbringen soll es seine Vertraute Yu Shu Lien, die wie er die geheime Wudang-Kampfkunst beherrscht. Die beiden lieben sich seit Langem, doch haben sie sich ihre Gefühle nie gestanden. Als das wertvolle Schwert in Bejing gestohlen wird, führt die Spur zum Palast des Gouverneurs, dessen Tochter Jen Yu in Kürze heiraten soll. Das Leben der jungen Adligen ist bestimmt von Regeln und Traditionen, doch liebt sie heimlich den Banditen Lo und träumt von einem unabhängigen Leben als Kriegerin. Im Stillen hat sie deshalb die Wudang-Kampftechnik erlernt, dafür allerdings eine zweifelhafte Lehrerin gewählt: Jade Fuchs, eine Verbrecherin und Erzfeindin von Li Mu Bai. Unerkannt lebt diese als Zofe im Haus des Gouverneurs. Als Jen Yu mit dem von ihr gestohlenen Schwert flieht, nehmen Li Mu Bai und Yu Shu Lien die Verfolgung des Mädchens auf.
Universelle Themen
Ang Lees märchenhaftes Martial-Arts-Epos
Tiger & Dragon basiert auf dem vierten Teil der
Kranich und Eisen-Pentalogie von Wang Du-Lu (1909-1977), einem Autor des in China populären
Wuxia-Genres. Kennzeichnend für das literarische Genre sind fantastische Elemente und die überragenden Kampfkünste ihrer ritterlichen Helden und Heldinnen. Obwohl Lee einen alten Stoff verfilmt hat, erweist sich die Geschichte von
Tiger & Dragon jedoch als universell lesbar, erzählt sie doch von tragischer Liebe und dem Zerbröckeln von Traditionen, von gegensätzlichen Lebensentwürfen, vom Druck gesellschaftlicher Zwänge und von der Rolle der Frauen. Die drei Frauenfiguren im Film – Yu Shu Lien, Jen Yu und Jade Fuchs – erweisen sich bei aller Verschiedenheit als Schwestern im Geiste, verbunden durch den Wunsch, die Restriktionen ihrer Gesellschaft hinter sich zu lassen und nach eigenen Idealen zu leben.
Gefühl und Verstand
Regisseur Ang Lee analysiert in
Tiger & Dragon, wie bereits zuvor in seiner Jane Austen-Verfilmung
Sinn und Sinnlichkeit (Sense and Sensibility, USA, Großbritannien 1995), das Spannungsverhältnis zwischen Verstand und Gefühl und zeigt, dass Liebe in einem sozialen Raum stattfindet. Zwei Liebesgeschichten bilden dabei den Rahmen des dichten Handlungsgeflechts: Auf der einen Seite stehen Li Mu Bai und Yu Shu Lien. Entsagung, Pflichterfüllung und Selbstbeherrschung bestimmen ihr Handeln und verhindern letztendlich ihr Liebesglück. Ganz anders dagegen Jen Yu und Lo: sie eine Adlige, er ein Gesetzloser. Die Frage, ob ihre Liebe standesgemäß ist, stellen sie sich nicht – gemeinsam glücklich werden aber auch sie nicht. Wie bei dem älteren Paar machen auch hier gesellschaftliche Zwänge ein Zusammensein unmöglich.
Freiheiten und Pflichten
Immer wieder reiben sich in
Tiger & Dragon die Figuren an gesellschaftlichen Regeln und Notwendigkeiten. Vor allem Jens Wunsch nach völliger Freiheit kollidiert mit einer sozialen Verantwortung Anderen gegenüber. Dass auch das Leben einer Kriegerin an Regeln gebunden ist, muss ihr erst Yu Shu Lien erklären – eine Botschaft, die Jen Yu nicht akzeptieren will. Insofern stehen die beiden Frauen (wie auch die beiden Paare) für gegensätzliche Ideale. Stellen die Älteren Gemeinschaft und Tradition über eigene Bedürfnisse, so stehen die Jüngeren mit ihrem Unabhängigkeitswillen für einen von Traditionen befreiten, modernen Lebensstil.
Entrückte Kämpfe
Besonders beeindruckend in ihrer Kunstfertigkeit und Schönheit sind in
Tiger & Dragon die Kampfszenen. Mögen sich die Kontrahenten/innen vordergründig aus Rache bekämpfen oder um den Besitz des Schwerts streiten, geht es ihnen eigentlich doch um Anderes: Sie wollen den Anderen von der Notwendigkeit der Selbsterkenntnis oder vom Recht auf Freiheit, manchmal sogar von der Liebe überzeugen. Bezeichnenderweise finden die Kämpfe in luftiger Höhe oder unter Missachtung der Naturgesetze statt. Während dieser Stunts hingen die Darsteller/innen an langen Drahtseilen, zusätzlich wurde mit Computertechnik nachgeholfen. So schweben die Krieger/innen nun über Dächer, gleiten übers Wasser, überwinden mit – durch
Filmschnitte verlängerten – Sprüngen große Distanzen und jagen sich in den Baumkronen eines Bambushains bis alles Irdische bedeutungslos erscheint. Sie kämpfen mit Fäusten, Schwertern, Stäben und zur Not mit Dachziegeln. Fast wirken ihre Duelle wie Tänze, betont durch
Detailaufnahmen der Füße und unterstützt von der
Musik, die zuweilen als leises Trommeln den Rhythmus vorzugeben scheint.
Filmsprache
Abgesehen von den spektakulären Kampfszenen, ist die Bildsprache in
Tiger & Dragon sehr zurückgenommen. Lange Kameraeinstellungen und -
bewegungen loten Umgebungen und die Protagonisten/innen darin aus. Wiederholt werden die Figuren in
Totalen vor beeindruckender Landschaft abgebildet – auch in der chinesischen bildenden Kunst ein gängiges Motiv – und ihr "Kleinsein" so mit der Größe der Natur in Beziehung gesetzt. Diese Zurückhaltung gilt auch für die Tonebene. Nie drängen sich
Musik und Geräusche in den Vordergrund. Selbst bei Actionszenen, etwa bei der Verfolgungsjagd über Dächer, ist manchmal nur das Flattern der Gewänder im Wind zu hören, was dem Geschehen etwas Peotisches verleiht. So ist Ang Lee mit
Tiger & Dragon etwas Besonderes gelungen: Er hat einem westlichen (Arthouse)-Publikum die Welt eines chinesischen
Wuxia-Epos' zugänglich gemacht.
Autor/in: Kirsten Taylor (Text vom 23.06.2010), 29.07.2022
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