Nachdem Nikolas Winding Refn für
Drive im letzten Jahr mit dem Regiepreis von Cannes geehrt wurde, hat er den Sprung in die Hollywood-Riege geschafft. Mit diesem melancholisch coolen Ausnahme-Post-Film-Noir-Thriller ist der dänische Regisseur denn auch einem internationalen Mainstreampublikum bekannt geworden. Dabei hatten seine Vorgängerfilme bei Fans des Hardboiled-Kinokrimis bereits Kultstatus. Ein guter Zeitpunkt also, Winding-Refn beim diesjährigen Filmfest mit einer Hommage zu ehren. Zwar werden nicht alle acht Kinofilme gezeigt, aber doch die wichtigsten, darunter die
Pusher-Trilogie.
Pusher: Rauer Film im Drogenmilieu
Den Auftakt machte
Pusher, den Winding Refn 1996 mit gerade einmal 24 Jahren gedreht hatte. Zur gleichen Zeit war der Sohn des bekannten dänischen Cutters Anders Refn, der auch in den USA aufgewachsen war, gerade an der Danish Film School aufgenommen worden. Aber Refn wollte lieber gleich in die Praxis, wollte seinen Film drehen und ließ den begehrten Ausbildungsplatz sausen. Das war in jedem Fall die richtige Entscheidung, sagt man sich, wenn man Pusher anschaut, einen rauen, unverstellten Film im Drogenmilieu. Einen Tag im Leben von Frank schildert das Low-Budget-Movie mit Kim Bodnia in der Hauptrolle und der Entdeckung Madds Mikkelsen. Die Geschichte ist simpel, wie so oft bei Winding Refn. Frank macht einen großen Deal mit Dope, das er nicht bezahlt hat. Als die Polizei dazwischenkommt, versenkt er den Stoff im Meer und schlägt seinen Kumpel Tonny halb tot, weil er glaubt, dass der ihn verpfiffen hat. Jetzt schuldet er seinem Lieferanten Milo jede Menge Kohle und braucht Aufschub. Bei Dealern, Junkies, selbst bei seiner Mutter versucht Frank, an das Geld zu kommen. Mit der Handkamera verfilmt, ohne zusätzliche Beleuchtung, kommt
Pusher wie ein aggressiver Dogma-Film daher, düster, brutal, trostlos. Zugleich zeigt sich bereits Winding Refs Begabung, Atmosphären und Stimmungen zu schaffen, durch Lichtsetzung, Farben, Musik. Licht (oder gerade den Mangel an diesem). Sein feines Gespür für Timing und für Charakterzeichnung und sein Mut, Zeit auflaufen zu lassen.
Vater-Sohn-Komplex
Nachdem
Pusher ein internationaler Kassenerfolg wurde und Nicolas Winding Refn mit
Bleeder (1999) und
Fear X (2003) zwei weitere Filme gedreht hatte, machte er sich 2004 daran, sein Debüt fortzusetzen: Es sei reine Geldnot gewesen, meint er in München. Hochverschuldet durch den Kassenflopp von
Fear X, sei er gezwungen gewesen, in kürzester Zeit einen neuen Film zu drehen. Zum Geldverdienen. Nun wäre es ein leichtes gewesen, den Vorgänger in einer leicht variierten Form neu aufzulegen. Doch Refn wählt inhaltlich einen neuen Ansatz – auch wenn
Pusher II: Respect visuell an den Vorgängerfilm anknüpft. Die Story setzt mehrere Jahre nach Tonnys Begegnung mit Franks Baseballschläger ein. Was mit Frank geschehen ist? – wir können es nur erahnen. Im zweiten Teil kommt Tonny frisch aus dem Knast und versucht mit einigen krummen Dingern den Respekt seines Vaters, des heimlichen Königs der Kopenhagener Unterwelt zu erlangen. Doch der hält seinen Sohn für einen Versager. Seine ganze Liebe gilt hingegen Valdemar, Tonnys jüngerem Halbbruder. Wie sehr sich Tonny auch anstrengt, seinem Vater kann er es nicht Recht machen. Als dann auch noch mehrere illegale Aktionen ungeplant verlaufen, ist die Katastrophe unvermeidbar. Spielte in
Pusher das heruntergekommene Drogenmilieu die eigentliche Hauptrolle, geht es in
Pusher II in erster Linie um eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung. Auch hier fragt Winding Refn nicht danach, warum seine Figuren zu dem wurden, was sie sind, sondern stellt sein Publikum vor vollendete Tatsachen. Es ist, wie es ist. Auch
Pusher II ist ein zuteifst beklemmender Film geworden, in dem jederzeit mit einem Ausbruch gerechnet werden muss. Wie bei allen Filmen Winding Refns überzeugt die minimalistische aber höchst effektive Filmmusik als akustische Entsprechung des chaotischen Seelenlebens der Protagonisten.
Brüchig gewordenes Reich
In
Pusher 3 steht wiederum eine andere Figur im Mittelpunkt, die wir allerdings bereits aus den Vorfilmen kennen. Refns Gespür für dramaturgische Zusammenhänge wird deutlich, wenn er Milos Geschichte weitererzählt, der inzwischen selbst drogenabhängig geworden ist und zwischen Dealen und Selbsthilfegruppen hin- und herpendelt. Längst ist Milo nicht mehr der ungekrönte Dealerkönig von Kopenhagen, die Zeit hat auch ihn eingeholt. Mittlerweile haben die Araber die Hand mit im Spiel beim Drogenhandel und Milo muss sich anhören, er sei alt geworden. Der Drogenkönig läuft durch sein brüchiges Reich, und findet überall aufsässige Elemente. Wie im ersten Teil der Trilogie beginnt ein Rennen gegen die Zeit, aber – Clou des letzten Teils – dieses Mal ist Milo der Gejagte. Nur ein alter Freund aus den früheren Tagen der Macht hilft ihm ein letztes Mal: In einer gleichmütig erzählten Splattersequenz machen die beiden aus ihren Gegnern im wahren Sinne des Wortes zu Hackfleisch. Am Ende hat sich Milo den schlimmsten Ärger vorerst vom Hals geschafft, aber der Riß bleibt – wie bei allen Filmen von Winding Refn.
Autor/in: Ula Brunner, Redakteurin bei kinofenster.de, 05.07.2012