Plötzlich wird Kino zum Ereignis: In Zeiten, in denen wir uns Filme auf Laptops und Handys anschauen können, wird uns im abgedunkelten Kinosaal ein außergewöhnliches Seherlebnis zuteil: das Gefühl in eine greifbar nah erscheinende dreidimensionale Welt einzutauchen, körperlich mitten im Geschehen zu sein. 3D-Filme schaffen die Illusion einer wirklichkeitsnahen Räumlichkeit. Dafür sind wir gern bereit, dunkle Brillen aufzusetzen und einen Aufpreis auf den Eintritt zu zahlen. Die Filmindustrie, die von jeher versuchte, mit technischen Innovationen stets neue fiktive Realitäten zu schaffen, um das Publikum zu fesseln, sichert damit auch der eigenen Branche das Überleben.
Bereits 1838 stellte der Physiker Charles Wheatstone die ebenso einfache wie einleuchtende These vor, dass wir räumlich sehen können, weil wir zwei Augen besitzen. Auf dieser Erkenntnis basieren die Technologien früherer und moderner 3D-Filme sowie ihre typischen Effekte. Schon seit den Kinderjahren der Kinematografie experimentieren Regisseure/innen mit dreidimensionalen Aufnahme- und Projektionsverfahren. Versuchen, der erstarkenden Fernsehkonkurrenz in den 1950er-Jahren mit 3D-Abenteuerspektakeln wie Bwana, der Teufel (Bwana Devil, Arch Oboler, USA 1952) den Rang abzulaufen, war allerdings ebenso wenig Erfolg beschieden wie dem Blockbusteraufguss Der weiße Hai 3D (Jaws 3-D, Joe Alves, USA 1983) dreißig Jahre später. Die unausgereifte Technologie schmälerte empfindlich das Sehvergnügen. Danach fristete der 3D-Film lange Zeit eine Randexistenz in Imax-Kinos mit Naturdokumentationen und Wissenschaftsfilmen – bis ihm eine deutlich verbesserte Technik im neuen Jahrtausend zu einem ungeahnten Aufschwung verhalf.
Spätestens seit James Camerons technologisch wegweisender Weltraumfantasie
Avatar – Aufbruch nach Pandora (Avatar, USA, Großbritannien 2009) hat die dritte Dimension im Kino einen Durchbruch erzielt.
Alice im Wunderland, Szenenbild (Foto: Walt Disney Motion Pictures Germany)
Seit Anfang des Jahres herrscht auf den Silberleinwänden ein regelrechter Boom an 3D-Filmen:
Drachenzähmen leicht gemacht (How to Train your Dragon, Chris Sanders, Dean DeBlois, USA 2010),
Alice im Wunderland (Alice in Wonderland, Tim Burton, USA 2010),
Für immer Shrek (Shrek Forever After, Mike Mitchell, USA 2010) sind nur einige Beispiele dafür. Die Hollywood-Studios haben für die kommenden Jahre bereits Dutzende neuer 3D-Produktionen angekündigt. In Deutschland kommt mit der Erich Kästner-Verfilmung
Die Konferenz der Tiere unter der Regie von Reinhard Klooss und Holger Tappe der erste deutsche CGI-
Animationsfilm in 3D in die Kinos und auch Wim Wenders versucht sich mit seinem aktuellen Filmprojekt
Pina über die Wuppertaler Choreografin Pina Bausch an der neuen alten Technik. Experten/innen schätzen, dass mittelfristig etwa 30 Prozent der deutschen Kinosäle für stereoskopische Vorführungen umgerüstet werden. Denn trotz erhöhter Herstellungs- und Projektionskosten ist der stereoskopische Film ein lohnendes Geschäft. Mehr noch – manche sehen in ihm die Zukunft der Filmindustrie.
Dieses Dossier nähert sich dem Phänomen 3D-Kino aus physikalischer, filmhistorischer, technologischer und ökonomischer Sicht. Kinofenster.de erklärt die Grundprinzipien des räumlichen Sehens und der Kinoprojektion und verfolgt die Entwicklung der Stereoskopie von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis heute. Welche erzählerischen Kompromisse erfordert das räumliche Seherlebnis, welche Geschichten wurden und werden erzählt und in welche Richtung muss sich das 3D-Kino entwickeln, um konkurrenzfähig zu bleiben? Denn untrennbar mit seiner Technologie und Geschichte verbunden ist seine Bedeutung als Wirtschaftsfaktor der Filmindustrie. Das moderne 3D-Kino steht vor einer doppelten Herausforderung: Es muss der wachsenden Konkurrenz von 3D-Formaten im TV-Bereich und auf dem virtuellen Freizeitmarkt standhalten. Es muss sich aber auch gegenüber den herkömmlichen 2D-Filmen positionieren, die erzählerisch bislang noch immer überlegen sind – man darf gespannt sein.