Hintergrund
Rechtsextreme Jugendliche im neueren deutschen Film
Anfang der 1990er-Jahre müssen in Deutschland wieder Menschen um ihr Leben fürchten, weil sie die "falsche" Hautfarbe besitzen, eine fremde Sprache sprechen, weil sie nicht "deutsch" genug sind. In Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln oder Solingen werden Asylbewerberheime attackiert, Wohnhäuser angezündet und Menschen umgebracht. In diesen Gewaltausbrüchen, an denen Jugendliche entscheidend beteiligt sind, manifestiert sich das rechtsextremistische Gedankengut einer bis dahin meist schweigenden Minderheit.
Dokumentarische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Neonazismus
Wohl nicht zufällig beginnt parallel auch im Kino die Auseinandersetzung mit dem nach der Wiedervereinigung scheinbar vor allem in den neuen Bundesländern erstarkten Neonazismus. Die Dokumentarfilmer/innen, die sich als erste dem Phänomen nähern, suchen vor allem unter Jugendlichen nach Erklärungen, wie rechtsextreme Ideologien entstehen und wie sie den Alltag bestimmen. Dies erfolgt aber nicht ohne Probleme: Als Thomas Heise 1992 Stau – Jetzt geht’s los fertig gestellt hat, stößt er immer wieder auf Ablehnung. Linke Aktivisten/innen wollen verhindern, dass der Film aufgeführt wird, die Premiere im Berliner Ensemble wird abgesagt. Wird der Film doch gezeigt, dann nicht ohne sich anschließende, kontroverse Diskussionen.
Heise dokumentiert in Stau erstmals den ernüchternd ereignislosen Alltag und die erstaunlich unreflektierten Ansichten sechs junger Skinheads und Neonazis aus Halle-Neustadt. Er zeigt die männerbündischen Rituale einer von chauvinistischen Rollenklischees bestimmten Gruppe – dazu gehört aber eben auch ein junger Mann, der mit Hingabe einen Marmorkuchen bäckt. Die Leistung des Films ist es, sich auf seine Protagonisten/innen einzulassen, sie ernst zu nehmen, sie nicht zu diffamieren. Daraufhin wird Heise der Vorwurf gemacht, er beschönige den Rechtsextremismus, verharmlose die Gewalt und bewerbe in letzter Konsequenz die faschistische Ideologie, weil er seine Figuren unkommentiert zu Wort kommen lässt. "Die Stärke des Films bleibt auch seine größte Schwäche", schreibt die taz damals, "denn indem er die Gewalttätigkeit ausblendet und die Wurzeln des Faschismus einzig in einer tragischen Sozialisierung des Einzelnen findet, verharmlost er tatsächlich das Problem."
Kontroverse Diskussionen und die Frage der Darstellung
Filmschaffenden, die nicht den Zeigefinger mahnend erheben, wird immer wieder vorgeworfen, sich mit der Ideologie ihrer Protagonisten/innen gemein zu machen. Nur ein Jahr später setzt ein weiterer Dokumentarfilm ähnliche Reflexe in Gang. Der Spiegel fällt ein vernichtendes Urteil: "Ein neuer Kinofilm macht Propaganda für Neonazis". In Beruf Neonazi (1993) über Bela Ewald Althans verzichtet Regisseur Winfried Bonengel auf einen parteiischen Kommentar aus dem Off und setzt auf ein selbstständig denkendes Publikum. Bonengel hofft, dass sich der junge Neonazi-Aktivist mit seinen Tiraden selbst demaskiert und geht dabei das Risiko ein, dem schillernden Althans, der Rudolf-Heß-Aufmärsche organisierte, den Holocaust leugnete und Kontakte zum Verfassungsschutz pflegte, eine Bühne zu geben. Der Film steht vor einem Dilemma, mit dem viele Filme jener Zeit kämpfen: Kann man seinem Gegenstand gerecht werden, wenn man ihm bereits voller Vorurteile entgegen tritt? Oder muss sich der Film deutlich von der faschistischen Ideologie abgrenzen?
Internationale Spielfilme
Während in Deutschland vor allem Dokumentationen zum Thema gedreht werden, taugt der juvenile Faschismus in anderen Ländern sogar als Hintergrund für actionreiches, durchaus auf ein Mainstream-Publikum schielendes Kino. In dem neuseeländischen
Romper Stomper (Geoffrey Wright, 1992) spielt der spätere Weltstar Russell Crowe den Anführer einer Nazi-Skinhead-Gang, die Jagd auf Immigranten/innen macht. In dem ebenso reißerischen wie weitgehend sinnfreien Horror-Thriller
Skinheads (Greydon Clark, USA 1989) dient eine dumpfe Neonazi-Gruppe gar als Zombie-ähnliches Kanonenfutter für den an Rambo erinnernden Helden. Dass es auch anders geht, beweist Edward Norton, der für seine differenzierte Darstellung eines geläuterten Neonazis in
American History X (Tony Caye, USA 1998, FSK 16) sogar für den Oscar® nominiert wurde. Später beschreibt
This is England (Shane Meadows, Großbritannien 2006, FSK 12), wie Rassisten/innen Anfang der 1980er-Jahre die ursprünglich unpolitische, an der schwarzen Ska-Musik orientierte Skinhead-Szene infiltrieren.
Wege in die Gewalt
Oi!Warning – Leben auf eigene Gefahr
Der deutsche Film beginnt erst um die Jahrtausendwende den Rechtsextremismus nicht mehr vorzugsweise als Dokumentation aufzugreifen. In
Oi! Warning – Leben auf eigene Gefahr (2000, FSK 12) erzählen die Zwillingsbrüder Dominik und Benjamin Reding mit Laiendarstellern/innen, in Schwarzweiß und mit Hang zur Ästhetisierung eine tragisch verlaufende Coming-Out-Geschichte unter Skinheads. Der Film beschreibt eine Skinhead-Kultur, die männlich dominiert und gewalttätig ist und erklärt damit auch, warum sich gerade in dieser Kultur der Rechtsextremismus ausbreiten konnte.
Auch Winfried Bonengel, der neun Jahre zuvor mit
Beruf Neonazi einen der ersten Dokumentarfilme zum Thema abgeliefert hatte, wechselt 2002 ins fiktionale Fach:
Führer Ex (FSK 12) schildert mit viel Verve, aber mitunter etwas holzschnittartig die Geschichte der beiden Freunde Heiko und Tommy. Noch in der DDR werden sie im Gefängnis radikalisiert und schlagen anschließend verschiedene Wege ein, die beide zur Gewalt, aber nur Heiko in die rechtsextreme Szene führen. Bonengel entwickelte das Drehbuch ausgehend von
Die Abrechnung – Ein Neonazi steigt aus, einem Buch, das er zusammen mit dem prominenten Aussteiger Ingo Hasselbach verfasst hatte. Kritiker/innen bemängeln nicht nur die allzu einfache Psychologie, die den jugendlichen Neonazismus als Rebellion gegen das DDR-System und Reaktion auf sexuell aggressive Mütter zu erklären versucht, sondern auch die mangelnde Schlüssigkeit des Drehbuchs: Warum Heiko und Tommy aus ihren Gewalterfahrungen verschiedene Schlüsse ziehen, wird letztendlich kaum nachvollziehbar.
Keime von Menschenverachtung und Intoleranz
Die Darstellung rechtsextremer Jugendlicher gehört seither im deutschen Kino zur Normalität. In
Kombat Sechzehn (Deutschland 2004) erzählt Regisseur Mirko Borscht die letztlich hoffnungsvolle Geschichte des 16-jährigen Georg, der nach dem Umzug nach Frankfurt/Oder in die rechte Szene gerät. Aus Einsamkeit freundet sich der Architektensohn mit dem jungen Neonazi Michael an. Der Film zeigt auf, wie leicht Orientierung suchende Heranwachsende unter den Einfluss rechtsextremistischer Gruppierungen geraten, appelliert aber zugleich dafür, betroffene Jugendliche mit aller Kraft dabei zu unterstützten, sich diesem Einfluss wieder zu entziehen. Am Ende sind Georg und Thomas intelligent und stark genug, sich aus der rechten Szene zu lösen, bevor es zur Katastrophe kommt.
In dem realen Fall, den Andres Veiel 2006 in seiner Theaterverfilmung
Der Kick (FSK 12) aufgreift, schien die Katastrophe hingegen vorprogrammiert. Veiel spürt den Hintergründen eines bestialischen Mordes nach, der sich 2002 im brandenburgischen Dorf Potzlow ereignete: Drei Jugendliche hatten einen Bekannten stundenlang gefoltert und schließlich mit einem "Bordsteinkick", den sie aus dem amerikanischen Spielfilm
American History X kannten, getötet. Erst vier Monate nach der Tat wurde die Leiche in einer Jauchegrube gefunden. Angesichts der unfassbaren Brutalität des Verbrechens wählt Veiel eine stark abstrahierte Form der Umsetzung. Er benutzt den Text eines Theaterstücks, das er zusammen mit Gesine Schmidt anhand von Gesprächsprotokollen mit Beteiligten und Zeugen/innen verfasst hatte, und das 2005 uraufgeführt worden war. Auch den Film inszeniert der Regisseur wie für die Bühne: sehr minimalistisch, fast avantgardistisch. Die beiden Darsteller/innen Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch spielen alle 20 Rollen. Er wolle die Täter, sagt Veiel, aus dem "Monsterkäfig" herausholen, in den sie die schockierte Gesellschaft gesteckt hat, um sich nicht mit den Ursachen der Gewalt beschäftigen zu müssen. Indem er sich ganz auf die Sprache authentischer Figuren stützt, funktioniert
Der Kick wie ein Dokumentarfilm: Er seziert, wo Menschenverachtung und Intoleranz entstehen und wie sie wachsen.
Komödiantische Annäherung
Einen vollkommen anderen Weg geht nur ein Jahr später
Leroy (2007, FSK 12). Regisseur Armin Völckers sucht nicht nach den Wurzeln des Rechtsextremismus in der Gesellschaft, sondern berichtet vom konkreten, alltäglichen Umgang mit ihm. Dazu wählt er allerdings die Form der Komödie – ein Novum im Umgang mit dem Thema. Titelheld Leroy ist Afro-Deutscher und verliebt sich ausgerechnet in ein junges Mädchen, deren Eltern große Verehrer/innen von Adolf Hitler sind und ihre Tochter – in Anlehnung an dessen Geliebte Eva Braun – Eva genannt haben. Evas Brüder, allesamt stramme, an ihren frisch rasierten Glatzen zu erkennende Nazis, sind bloße Karikaturen und können schlussendlich nichts gegen die Himmelsmacht Liebe ausrichten. Der – im Falle von
Leroy auch eher misslungene – Versuch, sich jugendlichen Rechtsextremisten im Komödienformat zu nähern, bleibt aber im Spielfilm die Ausnahme.
Mädchen als Neonazis und authentische Milieubeschreibung
Die Regel ist weiterhin das Sozialdrama, das die persönliche Dimension und die gesellschaftlichen Ursachen der Radikalisierung zu ergründen versucht. Vorerst letztes und eines der gelungensten Beispiele ist
Kriegerin (2011): Filmemacher David Wnendt bekam viel Lob und noch mehr Auszeichnungen für seinen Film, in dem vor allem Hauptdarstellerin Alina Levshin überzeugt und berührt. Als Marisa mimt sie so selbstverständlich das vom Nazi-Opa und Nazi-Freund indoktrinierte, nun aber zweifelnde Skinhead-Girl, dass Wnendt nun doch noch ein Kunststück gelingt, an dem frühere Filme oft scheiterten:
Kriegerin (FSK 12) verrät seine Protagonisten/innen nicht, macht sich aber auch nicht mit ihnen gemein. Stattdessen beschreibt er erschreckend genau ein Milieu, das sonst anonym bleibt, verborgen hinter Zeitungsmeldungen von Überfällen und den Statistiken der Arbeitsagenturen strukturschwacher Landstriche. Es sind die Regionen, in denen Orte liegen, die wir noch nicht kennen. So wie wir einst Hoyerswerda, Lichtenhagen oder Mölln nicht kannten.
Autor/in: Thomas Winkler, Journalist mit den Schwerpunktthemen Film, Musik und Sport, 04.06.2012
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