Hintergrund
RAF – Rote Armee Fraktion
Szene aus "Die Stille nach dem Schuss"
Am Beginn stand die Brandstiftung in einem Frankfurter Kaufhaus. Andreas Baader, einer der Täter, wurde verhaftet. Seine Freundin Gudrun Ensslin wandte sich an die prominente Journalistin Ulrike Meinhof, die sich bereit erklärte, bei der Befreiung mitzuhelfen. Spätestens am 14. Mai 1970, als im Laufe der gewaltsamen Befreiungsaktion der erste Schuss fiel, verloren die Mitglieder der von der Presse so genannten Baader-Meinhof-Gruppe ihren politischen Vertretungsanspruch an der Utopie einer gewaltfreien Gesellschaft, die über den Kampf gegen die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft und ihre poltischen und ökonomischen Rahmenbedingungen verwirklicht werden sollte.
Abtauchen in den Untergrund
Mit der Gründung der Rote Armee Fraktion im selben Jahr verabschiedeten sich Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Holger Meins von ihren bürgerlichen, von den Studentenunruhen der 60er Jahre geprägten Biografien. Ziel wurde der bewaffnete Kampf im Untergrund nach dem ideologischen Vorbild der lateinamerikanischen Stadtguerrilla. In PLO-Camps erhielten die RAF-Mitglieder die Ausbildung für künftige Anschläge.
Szene aus "Die Stille nach dem Schuss"
Terrroranschläge
In den folgenden Jahrzehnten fielen über dreißig Menschen dem Terror der RAF, des "Kommando 2. Juni" oder "Siegfried Hausner" und anderer Untergruppen und Nachfolgeorganisationen zum Opfer, die Toten aus den eigenen Reihen nicht eingerechnet. Wurden Banküberfälle und Anschläge auf Militäreinrichtungen zunächst mit dem Kampf gegen Imperialismus und den "Miltärisch Industriellen Komplex" begründet, trat nach der Verhaftung des harten Kerns der RAF die Forderung nach Freilassung der inhaftierten Gesinnungsgenossen in den Vordergrund.
"Deutscher Herbst"
In der zweiten RAF-Generation eskaliert die Gewalt und findet ihren Höhepunkt im Jahr 1977. Generalbundesanwalt Siegfried Buback und der Bankier Jürgen Ponto werden ermordet. In den als "deutscher Herbst" in die Sprachgeschichte eingegangenen Tagen zwischen dem 5. September und dem 19. Oktober liegen Ereignisse, die nicht nur die bundesdeutsche Medienöffentlichkeit in einen Ausnahmezustand versetzen: Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer wird in Köln auf offener Straße entführt, sein Fahrer und drei Polizisten werden erschossen. Der Bundestag verabschiedet das so genannte Kontaktsperre-Gesetz. Ein palästinensisches Terrorkommando entführt die Lufthansa-Maschine Landshut mit Besatzung und deutschen Mallorca-Urlaubern und ermordet am 17. Oktober den Flugkapitän in Aden. Eine Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes (GSG 9) befreit die Gekidnappten einen Tag später im somalischen Mogadischu und erschießt drei der vier Luftpiraten. Noch am selben Tag begehen Baader, Raspe und Ensslin in Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim Selbstmord. Am Tag darauf finden französische Polizeibeamte die Leiche des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten.
Noch kein Ende der Gewalt
Die Ereignisse von 1977 markieren einen Höhepunkt, nicht aber das Ende der Gewalt: Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts (1986), Deutsche Bank-Vorstandsprecher Alfred Herrhausen (1989) und Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder (1991) sind die letzten prominenten Ermordeten, die auf das Konto der RAF gehen. Deren Kommandoebene kündigte im April 1992 an, künftig auf Anschläge gegen führende Exponenten der Gesellschaft verzichten zu wollen. Trotz des Sprengstoffanschlags gegen die Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt im März 1993 gilt das Kapitel der RAF als historisch abgeschlossen.
Nach der Wende
Die Nach-Wende Verhaftungen führender RAF-Mitglieder, die in der DDR untergetaucht und sich dort dem kleinbürgerlichen Lebensmodell angepasst hatten, stellen einen je nach Perspektive zynischen oder ironischen Epilog dar. Während zur Hochzeit des Terrors sogar politisch ernst zu nehmende Forderungen nach der Einführung der Todesstrafe laut wurden, wird das Phänomen des linksextremistischen Terrors heute eher sozialpsychologisch analysiert, in dem Bestreben, es zu verstehen, ohne den Terror damit zu legitimieren. Eine Sonderrolle in diesem Ende der 80er Jahre einsetzenden Prozess der Auseinandersetzung spielen die Angehörigen des ermordeten FDP-Politikers Gero von Braunmühl, die ihre Dialogbereitschaft mit den Tätern offen bekundeten und sich gegenüber dem damaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker dafür aussprachen, dem Gnadengesuch von Peter-Jürgen Boock und Angelika Speitel zu entsprechen. Literaturhinweise: Carlchristian von Braunmühl, Birgit Hogefeld, Hubertus Jan u. a.: Versuche, die Geschichte der RAF zu verstehen. Das Beispiel Birgit Hogefeld, Psychosozial-Verlag 1996 Stefan Aust: Der Baader Meinhof Komplex, Hoffmann und Campe 1997
Autor/in: Margarete Häßel (punctum, Bonn), 21.09.2006