Kinofilmgeschichte
Brüche und Brücken – Das Kino des Generationenkonflikts
Was soll man tun in einer Kleinstadt, noch dazu, wenn man jung ist? Da wartet man darauf, dass irgendwas passiert. Zum Beispiel, dass einer von der Brücke springt. Das hat er angekündigt. Als Mutprobe. Aber auch, weil es allem widerspricht, was Erwachsene tun, was Erwachsene von Jugendlichen erwarten. Die Erwachsenen haben ja ihre innere Sicherheit längst gewonnen und hüten sie nun sorgsam wie den Lack ihrer Autos. Der Sprung von der Brücke wäre ein Schock für sie. Allein dieser Umstand rechtfertigt das verrückte Vorhaben.
Permanente Revolution
Der Schweizer Film Der Sprung von der Brücke (1979) skizziert die permanente Krise, die zwischen den Menschen herrscht, die zwischen 12 und 20 Jahren alt sind und den anderen zwischen 50 und 60. Bei den einen herrschen Aufbruchstimmung, Neugier, Energieüberschuss. Die anderen wollen Erreichtes sichern, interessieren sich häufig für immer weniger und werden langsam müde. Die Jungen treten an, die Stellung einzunehmen, die sich die Alten erobert haben und die sie nun verteidigen. Eigentlich herrscht Krieg zwischen den Generationen, wenigstens Revolution, und zwar immerwährende. Denn die Umwälzungen enden nie. Auch die Alten waren ihrem subjektiven Zeitempfinden nach gerade noch die Rebellen, denen sie jetzt glauben, Einhalt gebieten zu müssen.
Jenseits der Stille
Rebellen in Lederjacken
Selbstverständlich ist der Generationenkonflikt ein großes Thema für das Kino. Und obwohl Filme fast immer von älteren Menschen gemacht werden, stehen sie fast ausschließlich auf der Seite der jungen. Sogar wenn sie sich mit exzessiven Erscheinungen der Jugendrebellion bis hin zum Bandenwesen beschäftigen wie Die Halbstarken von Georg Tressler (1956) oder die DDR-Variante Berlin – Ecke Schönhauser von Gerhard Klein (1957), zeigen sie Sympathie für die Helden mit pubertärem Überdruck und stellen die Welt der Erwachsenen als festgefahren und renovierungsbedürftig dar. Die Inspirationsquelle dieser Filme war Nicholas Rays ...denn sie wissen nicht, was sie tun aus dem Jahr 1955 mit James Dean als jugendlichem Rebellen. Auch in diesem Film ging es um Mutproben als Protest gegen Sicherheitsdenken. Und dieser Film zeigte wie die meisten Nachfolger die andere Seite des Aufruhrs: die Sehnsucht nach der Partnerschaft mit den Erwachsenen, die Enttäuschung über deren Abfinden mit unerträglichen Verhältnissen.
Versöhnung der Generationen
Deswegen ist der Aufbruch Jugendlicher in ein selbstverantwortetes Leben im Film nicht immer gegen die Eltern gerichtet. Manchmal finden die Generationen über Konflikte zu einem Miteinander, etwa in Gérard Lauziers Komödie
Mein Vater, der Held (1991). Lauzier spielt witzig mit allen nur denkbaren Klischees um Bindung und Ent-Bindung in einer Vater-Tochter-Beziehung. Meist allerdings ist die Dramaturgie anders angelegt. Da kommt es zunächst zur Entfremdung zwischen den Generationen, um dann den Moment des Wiederfindens mit schönem Pathos aufzuladen. Ein Musterbeispiel dafür ist Caroline Links
Jenseits der Stille (1996). Der Vater überwindet seine Skepsis gegen die Musikbegeisterung seiner Tochter und lässt sich auf ihre Welt ein. Eine Versöhnung der Generationen wird angedeutet.
Der Club der toten Dichter
Lehrer und Schüler
Es sind aber nicht immer die Eltern, die zu dieser Versöhnung beitragen. Eine Reihe von Filmen behandelt das uralte Thema der Erziehung und Ausbildung. Die Erfahrung des Alters wird an die nächste Generation weitergegeben. Zwischen "Lehrern" und "Schülern" entwickeln sich starke, positive Gefühle. Alain Tanners
Lichtjahre entfernt (1981) zeigt das ebenso eindringlich wie Idrissa Ouedraogos in Afrika spielender
Yaaba (1989). In Peter Weirs
Der Club der toten Dichter (1988) erreichte der Stoff geradezu Kultcharakter. Konservative Verkrustung der Alten wird darin genauso angesprochen wie das Misstrauen der Jungen gegen pädagogische Zuwendung und die Übernahme jugendlicher Eigenverantwortung durch einen Brückenschlag zwischen den Generationen.
Der Trick mit der Erotik
Solche Filme haben eine sehr poetische, geradezu romantische Atmosphäre, das heißt auch einen gewissen Grad an Irrealität. Das Misstrauen der Jungen gegen die Erfahrungen der Alten war wohl selten so groß wie in der Gegenwart. Manchmal hat man den Eindruck, die Generationen würden in unterschiedlichen Universen leben. Dennoch funktionieren gerade im Bereich des Mainstreamfilms die Anpassungstricks der Alten weiterhin in erstaunlichem Maß. Das ganze Genre der Teenie-Filme zielt kaum auf anderes als auf die Anpassung an die Erwachsenen-Normen. Die Ablösungsprobleme der Jugend werden darin auf die erotische Komponente reduziert. Man billigt ihr eine "wilde Zeit" zu, um sie für die bürgerlichen Konventionen fit zu machen. Cameron Crowes Singles – Gemeinsam einsam (1992) ist mustergültig für dieses Verfahren. Und noch im Oscar-bekränzten American Beauty (2000) von Sam Mendes ist diese Tendenz trotz Widerhaken zu spüren.
Die neuen Leiden des jungen W.
Ausbrüche und Aufbrüche
Schließlich hat das Kino selbst sehr viel mit dem Gefühl für Jugendlichkeit und mit den Gefühlen der Jugend zu tun. Es hat die großen Geschichten von Ausbruch und Aufbruch erzählt: Jean Vigos Apropos de Nice (1930), Ingmar Bergmans Die Zeit mit Monika (1952), Satyajit Rays Apus Weg ins Leben (1956), Easy Rider von Dennis Hopper (1969), Die neuen Leiden des jungen W. von Plenzdorf und Itzenplitz (1975) und François Truffauts Filme um die Figur des Antoine Doinel. Es hat aber auch davon erzählt, dass eine Generation ihr Kino verliert, wenn sie erwachsen wird: Die letzte Vorstellung von Peter Bogdanovich (1971). Im besten Fall schlägt es die schmale Brücke über den Abgrund der Unbegreiflichkeit zwischen Eltern und Kindern.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 21.09.2006