Filme über die Drogenszene gibt es en masse und inzwischen scheint kaum ein Film mehr ohne Szenen aus dem Drogenmilieu auszukommen. Es ist ja so schön einfach: Hier die "Bösen", die Drogenkonsumenten und -dealer, dort die "guten" Drogenfahnder, daraus lässt sich allemal harte Action stricken und am Ende wohlfeile "Moral von der Geschicht’". Filme jedoch, die das Drogenproblem in ihrer Vielschichtigkeit ernst nehmen, können einfach nicht so schlicht gestrickt sein, wie die meisten Genrefilme. Soderberghs
Traffic nimmt das Problem sehr ernst und daher ist es auch kein einfacher, schlichter Film.
Kompliziertes Handlungsgeflecht
Es beginnt schon damit, dass er statt einer einzigen, linear erzählten Handlung gleich drei hat, in die – fast nur durch das Drogenthema verbunden – jeweils andere handelnde Personen an verschiedenen Orten eingebunden sind. Der Anfang spielt in Mexiko: Kaum haben die Fahnder Javier und Manolo nahe der US-Grenze zwei Drogenkuriere des Obregon-Kartells verhaftet, müssen sie diese auch schon an General Salazar, den dubiosen obersten Drogenfahnder Mexikos, abliefern. Derweil muss in San Diego die reiche Helena Ayala erfahren, dass ihr Reichtum nur aus den Drogengeschäften ihres Mannes Carlos stammt, den die US-Drogenbehörde DEA gerade verhaftet hat. Die schwangere Mutter beschließt dann, diese Geschäfte weiterzuführen, um sich und ihren Kindern den gewohnten Lebensstil zu erhalten. In Cincinnati, Ohio, sieht sich der frisch ernannte DEA-Chef Wakefield mit der Tatsache konfrontiert, dass die eigene Tochter drogenabhängig ist. Das bietet Stoff genug für mehrere Filme.
Qualitäten und Quantitäten
Die Flut der Ereignisse an den verschiedenen Orten ist so groß, dass auch für die vielfach prominent besetzten Parts meist nur ein paar karge Auftritte übrig bleiben. Stars wie Albert Finney, Tomas Milian, Amy Irving oder Dennis Quaid, die sonst Hauptrollen spielen, begnügen sich in Soderberghs Film mit winzigen Nebenrollen. Catherine Zeta-Jones als Helena Ayala, Michael Douglas als Wakefield und Benicio Del Toro als Drogencop Javier haben als Hauptfiguren der drei Handlungsebenen zwar deutlich mehr zu spielen, doch der ständige Szenenwechsel lässt auch ihnen wenig Zeit, den Charakteren wirkliche Tiefe, ihren Handlungsmotiven Überzeugungskraft zu geben. Lediglich Del Toro, dessen Figur durch ihre Position "zwischen den Fronten" ohnehin die interessanteste ist, hinterlässt mit seinen knappen Gesten und seiner variantenreichen Mimik nachhaltigeren Eindruck, was ihm verdientermaßen eine Oscar-Nominierung einbrachte.
Kluge Farbdramaturgie
Die schier unüberschaubare Vielzahl von handelnden Figuren (das Presseheft spricht von "mehr als 110 Sprechrollen"!) stellt die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf eine harte Probe. Soderbergh hat denn auch einige Mühe, die ständigen Schauplatz- und Figurenwechsel nachvollziehbar zu halten. Er bedient sich dazu kurzer Inserts, vor allem aber einer klugen Farbdramaturgie. Raue, erdige Brauntöne bestimmen die Mexiko-Szenen, die San Diego-Sequenzen sind eher weich und in warmen Tönen gehalten. In Ohio und Washington schließlich, wenn Wakefield und die Politik die Szene beherrschen, werden die Bilder kühl nachtblau wie die Maßanzüge der Machtelite.
Wechselbäder der Gefühle
Während diese Farbdramaturgie dem Zuschauer den Überblick über die rasch wechselnden Orte der Handlung erleichtert, geben ihm die dokumentarisch wirkenden, weit gehend mit Handkamera gedrehten Bilder zugleich das Gefühl, reales Geschehen zu erleben, und zwar unmittelbar und mittendrin. Um noch direkter am Puls der Handlung zu sein, zog Soderbergh es vor, möglichst mit Tageslicht zu arbeiten und zudem als sein eigener Kameramann und Schwenker zu fungieren (was er wegen der mächtigen Gewerkschaften, die diese Doppelfunktion nicht erlauben, allerdings hinter dem Pseudonym Peter Andrews verbergen musste). Dieses Wechselbad von nüchternem Überblick und emotionalem Hineingezogensein erhöht zweifellos den Reiz und Unterhaltungswert seines Films, stellt aber auch eine dramaturgische Grundidee dar, die nicht ohne Fallstricke ist.
Anti-Sucht-Didaktik?
Dies wird besonders deutlich in dem geradezu peinlich didaktischen Schluss des Films. Gerade hat der oberste Drogenfahnder Wakefield sich in einer Pressekonferenz geweigert, die offiziell gewünschte, beschönigende Rede über die Erfolge der DEA zu halten, da sitzt er auch schon mit seiner Ehefrau brav in der Runde einer Drogentherapiegruppe, in der Tochter Caroline erste Schritte weg von der Droge zu gehen versucht – "um zuzuhören", wie Wakefield erklärt. Die Verlagerung der Anti-Drogen-Aktivitäten ins Private der Wakefield-Familie entlässt quasi die Politik aus der Verantwortung. Die zuvor deutlich sichtbar gewordenen gesellschaftlichen Ursachen der Sucht, nämlich der Verlust überkommener Wertevorstellungen und Zukunftsperspektiven vor allem in der jüngeren Generation sowie die inkonsequente Politik, die andere Drogen weit gehend toleriert, lösen sich auf in individuelle Lösungsversuche, von denen nun alles Heil kommen soll.
Tabuisierte Drogen-Lust
Wohl um das angepeilte Mainstream-Publikum nicht allzu sehr zu irritieren, lässt sich der Film nirgends darauf ein, die dem Frust und der Selbstzerstörung der Drogenabhängigkeit vorangehende, sie meist sogar erst auslösende, naive Lust am Drogenkonsum zu thematisieren. So aber bleiben die Motive, die über Neugierde, Gruppenzwang oder vermeintlichen Lustgewinn in die Abhängigkeit führen, praktisch ausgeklammert und das lähmt nun vollends die wohl beabsichtigte pädagogische Wirkung. Indem er die Drogenlust tabuisiert, – die Droge Alkohol kommt immerhin ein paar Mal kurz zur Sprache – verschenkt Soderbergh die Chance, bei den (noch) nicht in den Strudel der Drogensucht Geratenen zwar nicht Verständnis für die Abhängigen, aber doch jene Einsicht in die Mechanismen des Süchtigwerdens zu wecken, die einer wirklichen Lösung des Problems vorausgehen muss.
Autor/in: Hans-Günther Dicks, 01.04.2001