Hintergrund
Pogo hinterm Stacheldraht
Szene aus dem Film "Wie Feuer und Flamme"
Ihre Bands hießen "Namenlos", "Schleimzeit" oder "Aussatz". Sie stellten ihre Haare mit Rasiercreme und Club-Cola zum Irokesen auf . Sie trugen zerrissene Jeans, die ältesten Nietenjacken und hohe Schnürstiefel. Punks in der DDR – ihr Protest war total und richtete sich gegen alles: "Lieber beißen als verscheißen" lautete einer ihrer Wahlsprüche oder: "Lieber schlagen als verzagen". Von 1980 bis zur brutalen Zerschlagung durch die Stasi 1983 trotzten die Punks hinter dem Stacheldraht der Einheitsnorm. Nirgendwo auf der Welt wurden sie in einem Ausmaß zum Gegenstand staatlicher Politik wie in der DDR. Der DDR-Historiker Stefan Wolle ("Die heile Welt der Diktatur"): "Das war buchstäblich so: Mielke und Honecker kümmerten sich persönlich um diese Bewegung und erteilten die Befehle, sie bedingungslos zu bekämpfen." Denn die Punks durchkreuzten die Absicht der SED, die jungen Leute durch etwas mehr Toleranz und Duldsamkeit an sich zu binden.
Asoziale und Krawallmacher
Die Punks lehnten alles ab, was vom Staat kam. Auch das, was aus dem Westen herüber schallte, außer vielleicht den "Sex Pistols". "Ziellos, brutal, schockierend, aus dem Müll" schrieb die GST-Zeitschrift "Sport und Technik" 1983. "Musikalischer Analphabetismus", urteilte die "Junge Welt". "Auf der Straße Atemnot/ Kinder spiel'n mit Hundekot/Tote Tauben, Straßendreck/ Wie kriegen wir den Dreck bloß weg", sang die Gruppe "Planlos" (1980, Text: Micha Kobs). Punks galten als Aussteiger und Widerständler, als Asoziale und Krawallmacher, obwohl ihr Ausstieg nur der aus einer Kleiderordnung war und ihr Krawall oft nur aus den Lautsprecherboxen kam. Vielleicht waren sie der Stasi gerade deshalb ein Dorn im Auge: Sie importierten ein Revolutionsmodell aus dem Westen und erweckten damit den Eindruck, dass es nicht nur im Kapitalismus, sondern auch im Osten Grund zu fundamentaler Absage an Schönheits-, Musik- und Sozialkonventionen gab. Gab es ja auch, durfte es aber nicht.
Szene aus dem Film "Wie Feuer und Flamme"
"Bedrohung" von innen und außen
Der Dorn im Auge der Stasi tat besonders weh, weil sich die Spannungen auch international häuften. Stefan Wolle: "1980, als der Punk in der DDR aufkam, ist das Jahr des NATO-Doppelbeschlusses. 1979 marschierten die Sowjets in Afghanistan ein. 1981 herrschte in Polen quasi Kriegsrecht, die Solidarnosc wurde mächtiger und mächtiger." Mit dem Eppelmann-Appell im Jahre 1981 forderte die Friedensbewegung in der DDR zum ersten Mal Abrüstung in West und Ost. In den Gotteshäusern begannen die Friedensgebete und Blues-Messen. Die Pastoren entdeckten, dass sie mit einer offenen Jugendarbeit ihre Kirchen wieder voll bekamen. Die Jugenddiakone fühlten sich aufgerufen, sich um "Randgruppen" wie die von der Staatsmacht drangsalierten Punks zu kümmern. In der Not des Staates erkannte die Kirche ihre Tugend und schloss den Geächteten ihre Pforten auf.
"Punk in Pankow"
Die Stasi sah nur einen Ausweg: Punks wurden zum Freiwild erklärt. Die Kriminalisierung funktionierte total: stundenlange Durchsuchungen, willkürliche Verhaftungen, Verhöre, Freilassungen, wieder Verhöre. Angela Kowalczyk, heute Mitte 30, hat darüber eine Autobiographie geschrieben ("Punk in Pankow", Anita Tykve Verlag, Berlin). Mit 16 wurde sie von der Stasi auf ihrer Arbeitsstelle abgeholt, tagelang verhört und ins Gefängnis gesteckt. Der Staat exekutierte an der Minderjährigen sein Programm: Er verunsicherte sie durch das Gefängnis, isolierte sie von Freunden und Familie, täuschte Entlarvungen durch andere Punks vor und hielt sie im Ungewissen, ob es eine Anklage geben, ob sie nur ein paar Tage, Monate oder Jahre einsitzen würde. Die staatliche Einschüchterung funktionierte. Sie begann sich zu fragen: Muss das sein? Nur wegen der Klamotten? Sind dir deine Überzeugungen so wichtig? Lohnt sich das?
Szene aus dem Film "Wie Feuer und Flamme"
Einfach anders sein
Punkmusik war mit keiner Demokratievorstellung verbunden, es wurden keine Bürgerrechte reklamiert und die Überzeugung, für die dort eingestanden wurde, erscheint vielen noch heute als eine harmlose modische Cliquenzugehörigkeit. Aber im Grunde fängt genau dort Freiheit an: dass Jugendliche sich an etwas hängen dürfen, das weder umstürzlerisch noch ausgemacht politisch ist und weniger auf die befreite Welt als vielmehr auf den gelungenen Abend zielt, dass sie nonkonform sein dürfen.
Tipp:
Der Interviewband: "Punks in der DDR – und was aus ihnen geworden ist. Auch im Osten trägt man Westen" von Gilbert Furian und Nikolaus Becker (Archiv der Jugendkulturen, Berlin 1999) bietet Hintergrund für den Film
Wie Feuer und Flamme. Gilbert Furian, studierter Philosoph, Oppositioneller und deswegen im VEB Wärmeanlagenbau tätig, hatte 1982 in der DDR die Punkszene beobachtet und die Akteure interviewt. Das Material lagerte in seiner Schublade, bis er 17 Jahre später noch einmal darauf zurückkam und die Punker von damals noch einmal zum Gespräch bat.
www.jugendkulturen.de (archivderjugendkulturen@t-online.de)
Autor/in: Volker Thomas, 21.09.2006