Hintergrund
Sozialdienst für jugendliche Straffällige?
Es wäre nur zu schön, wenn möglichst viele jugendliche Delinquenten/innen durch die ihnen auferlegte Freizeitarbeit in einer sozialen Einrichtung einen Erkenntnis- und Reifungsprozess durchmachen könnten. Sylke Enders hat das bei der Titelheldin in ihrem Film
Kroko gezeigt, aber das entspricht nicht der gängigen Alltagspraxis.
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Mädchen werden prozentual deutlich weniger straffällig als Jungen und leisten folglich auch weniger Freizeitarbeit. Bei Jungen wiederum stehen die Aussichten schlecht, dass sie Verständnis und Sympathie für gesellschaftliche Randgruppen entwickeln. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede werden latent auch im Film sichtbar: Krokos Freund Eddie und seine Clique reagieren auf die Behinderten noch gereizter, hämischer und aggressiver als Kroko. Besonders gravierend wirkt sich die unterschiedliche Sozialisation von Jungen und Mädchen auf die Gewaltbereitschaft aus: Die so genannten "Anti-Gewalt-Seminare", an denen Straftäter teilnehmen müssen, die Körperverletzung oder gar Totschlag begangen haben, sind fast ausschließlich männlich belegt.
Realität und Fiktion im Sozialdienst
Vor diesem Hintergrund ist die Freizeitarbeit weniger effizient, als sie im Film erscheinen mag. Sozialpädagogen/innen berichten, dass ein großer Prozentsatz der Jungkriminellen unentschuldigt fehlt und sie die ihnen aufgebrummten Stundenzahlen nur äußerst widerwillig abarbeiten oder verweigern. Folglich ist es kaum möglich, die straffällig gewordenen Jugendlichen mit verantwortungsvollen sozialen Aufgaben zu betrauen, geschweige sie an Hilfe bedürftige Menschen heranzulassen. In der Regel müssen jugendliche Straftäter/innen deshalb überwiegend einfache Putz- und Räumarbeiten verrichten. In betreuten Behinderteneinrichtungen werden sie dabei weit seltener eingesetzt als in Seniorenheimen, Jugendfreizeiteinrichtungen oder Kindertagesstätten. So leicht wie es sich der Betreuer der Filmheldin macht, der sie – nachdem sie einfach unentschuldigt weggelaufen ist – kurzerhand suspendiert und ihr die restlichen Stunden erlässt, machen es die verantwortlichen Betreuer/innen den Jungkriminellen in Wirklichkeit zudem nicht. Unentschuldigtes Fehlen oder Arbeitsverweigerung haben Konsequenzen. Dabei liegt es im Ermessen der entsprechenden Integrations- oder Jugendgerichtshilfe, ob sie den Schwänzern/innen in einer anderen Einrichtung eine zweite Chance einräumt. Oftmals droht ihnen tatsächlich Arrest in einer Jugendvollzugsanstalt.
Zweifelhafter Nutzen
Angesichts dieser Umstände könnte man Sinn und Nutzen der Freizeitarbeit grundsätzlich in Frage stellen. Zwar sollen tendenziell weniger Jungkriminelle rückfällig werden, wenn sie einmal soziale Arbeit geleistet haben, exakte Erhebungen zu Rückfälligkeiten existieren jedoch nicht. Alternativ ist beispielsweise denkbar, straffällig Gewordenen Praktikumplätze anzubieten, die ihnen konkrete Zukunftsperspektiven eröffnen. Auf diese Weise ließen sich die jungen Straftäter/innen vielleicht einfacher – und im Hinblick auf einen künftigen Beruf – auch erfolgreicher gesellschaftlich integrieren.
Autor/in: Kirsten Liese, 21.09.2006