"Ich könnte dich lieben, wenn du anders wärst", schreit Iwan mit einem Messer in der Hand seinem Vater entgegen. "Aber ich hasse dich", fährt der Junge fort und stürmt angesichts seiner offensichtlichen körperlichen Unterlegenheit in ohnmächtiger Wut davon. Zehn Jahre lang waren die Brüder Andrej und Iwan allein bei der Mutter aufgewachsen. Plötzlich taucht ihr Vater aus einem geheimnisvollen Nichts auf. Ohne weitere Erklärungen nimmt er ganz selbstverständlich den ihm als angemessen erscheinenden Platz des Oberhaupts der Familie ein. Während der ältere Andrej fast wie befreit zu der plötzlich anwesenden Autorität aufblickt, verweigert sich Iwan den Ansprüchen des ihm fremden Mannes, der noch vor seiner Geburt verschwunden ist.
Reise ins Ungewisse
Gemeinsam begeben sich Vater und Söhne auf eine Fahrt durch die raue und zugleich melancholisch schöne Landschaft Nordrusslands. Was wie ein Abenteuer beginnt, erweist sich für die Jungen mehr und mehr als Härtetest. Der Vater nimmt keine Rücksicht auf verspielte Befindlichkeiten und irgendwelche Schwächen seiner Kinder. Unerbittlich deckt er deren Fehler auf und stellt sie vor immer neue Herausforderungen. Auf einer einsamen Insel im Ladogasee eskaliert dann die permanent gewachsene Spannung zwischen den Reisenden. Wieder einmal haben Andrej und Iwan in den Augen des Vaters versagt. Erbarmungslos und unbeherrscht straft er daraufhin den Älteren. Wutentbrannt ergreift Iwan das Messer, um dann wenig später in selbstmörderischer Absicht auf einen alten Wachturm zu steigen. Der Vater, zur Besinnung gekommen, will das verhindern und stürzt dabei in den Tod.
Eine Parabel
Die scheinbar klassische Familiengeschichte erweist sich schnell als eine Parabel über Liebe und Hass, Freiheit und Zwang, Anpassung und Widerstand sowie Verantwortung und Nachlässigkeit, Gemeinsinn und Eigennutz. Im Zeitrahmen der biblischen Schöpfungswoche, von Sonntag bis Samstag, nimmt das Geschehen, das voller religiöser und mythischer Anspielungen ist, seinen Lauf. Die vaterlos aufgewachsenen Kinder erfahren in einer Art Rosskur sowohl die Defizite als auch die Gefährdungen, die das Vorhandensein bzw. das Fehlen autoritärer männlicher Strukturen mit sich bringen können. Vermittelt wird dabei ein sehr ambivalentes Verhältnis zwischen dem Vater als Vorbild und erdrückendem Übervater.
Missglückte Mutprobe
Zu Beginn des Films, der Vater ist noch nicht da, wird der innere Konflikt der Jungen in einem symbolträchtigen Bild veranschaulicht. Bei einer Mutprobe sollen sie vor Freunden von einem hohen Turm ins Wasser springen. Andrej überwindet sich, weil er das Ansehen der Gruppe braucht. Iwan hingegen widersetzt sich und flüchtet schließlich in die Arme der Mutter. Er hat seinen Willen zwar durchgesetzt und doch ist er unglücklich und das zeigt sich in aggressivem Trotz gegenüber dem Bruder und den Spielkameraden, weil er versagt hat.
Entwicklungsschritte im Eiltempo
Dieses Verhaltensmuster wiederholt sich im Umgang mit dem Vater. Iwan möchte Anerkennung und Geborgenheit, gleichzeitig ist sein Handeln sehr egoistisch motiviert und vor komplizierten Aufgaben kapituliert er lieber schon vorab. Der Vater verweigert ihm nun auf der einen Seite jegliche Wärme und zwingt ihn auf der anderen Seite immer wieder, sich selbst zu überwinden. Indem der Vater aber unvermittelt und autoritär seine Prinzipien durchsetzt und Iwan dabei fortlaufend demütigt, hat der Junge gar keine Chance, in einem behutsamen Lernprozess seine Positionen zu ändern. Als er dann schließlich doch über sich hinauswächst, geschieht das in tödlicher Konfrontation mit dem Vater. Das irdische Verhältnis zwischen den beiden zerbricht am siebenten Tag genau in dem Moment, wo sie erstmals gegenseitige Liebe in Erwägung ziehen können.
Der Vater-Sohn-Konflikt als Metapher
Wenn die Söhne schließlich ihren toten Vater schweigend im Boot von der Insel bringen, dann erzählen die Bilder ohne Worte von Versöhnung und von dem Gedanken, wie sehr sich alle drei brauchen bzw. auch künftig gebraucht hätten. Die Bilder tragen darüber hinaus im allegorischen Sinne jedoch genauso düstere Ahnungen, unbestimmte Ängste und eine große Ungewissheit in sich. Die sehr private Geschichte lässt sich auf der Grundlage ihrer reichhaltigen Metaphorik auch als Gleichnis in Bezug auf die postsowjetische Geschichte deuten. Welche Rolle kommt "Väterchen Russland" im Verhältnis zu seinen mittlerweile in größerer Freiheit lebenden Bürgern zu? Umgekehrt aber auch, was kann der Staat von den Landeskindern erwarten?
In bester russischer Filmtradition
Regisseur Andrej Swjaginzew, der mit seinem Debütfilm in Venedig 2003 den "Goldenen Löwen" gewann, bekennt sich bewusst zu den Traditionen des sowjetischen Films. Er knüpft mit seinen sakralen Andeutungen an den Regisseur Andrej Tarkowskij an und versteht es, mit Hilfe von Landschaftsbildern die seelischen Empfindungen der Menschen auszudrücken. Die durchgängig graublau getönten Bilder vermitteln das Gefühl einer Endzeitstimmung, die sich aus der Vereinzelung und Isolation der Menschen ableitet. Mit dieser Symbolik bricht der Film aus dem russischen Mikrokosmos aus und wird zu einem Spiegel für die moderne Gesellschaft insgesamt.
Autor/in: Klaus-Dieter Felsmann, 01.04.2004