Das Interview führte Margret Köhler.
Warum wird beim Thema Rechtsextremismus von Jugendlichen immer zuerst der Osten Deutschlands genannt? Rekrutiert die rechtsextreme Szene ihren Nachwuchs wirklich in den neuen Bundesländern?
Das hat viel mit dem Wende- und auch Nachwendephänomen zu tun. Rechtsextremismus in der DDR hatte insofern eine Tradition, weil er für Leute, die nicht gerade besonders intelligent waren, eine ganz klar definierte Gegenposition zur offiziellen linken Haltung bedeutete. Nach der Wende fiel viel von den Dingen weg, mit denen man noch aufbegehren konnte wie Tattoos oder Piercings – kein Mensch regte sich mehr darüber auf. Es blieb die Frage: Womit kann ich die größtmögliche Aufmerksamkeit erreichen? Das hat sehr viel mit einer neuen Identitätsfindung und mit Provokation zu tun: Wir haben keine Chance, aber wir sind wer! Viele Stränge laufen da zusammen. Am Anfang war es ein nach außen gerichtetes Zeichen, sich abzugrenzen, mit Glatzen durch die Gegend zu rennen und laut zu brüllen, dazu kamen natürlich auch harte und schreckliche Gewalttaten. Das ist ein sehr komplexer Bereich, den man nicht mit einer knappen Begründung umreißen kann.
Oft verbinden sich Arbeitslosigkeit und Orientierungslosigkeit, wenn sich junge Leute der rechten Szene zuwenden. Bei Kombat Sechzehn sind es jedoch mehr persönliche Probleme, die Suche nach einem Platz im Leben.
Diese Vereinfachung, Arbeitslosigkeit führe gerade bei Jugendlichen zum Rechtsextremismus, ist mir zu simpel. Das mischt sich natürlich mit einer Orientierungslosigkeit. Ein wesentliches Thema sind jedoch die fehlenden Alternativen, der Mangel an funktionierender Familie und Freundeskreis, an emotionalem Rückhalt. Manche der Jugendlichen könnten mit der gleichen Motivation auch in einer komplett anderen politischen Richtung aktiv sein, wobei der Sprung zur Politik oft noch nicht stattfindet. Ich halte die Hinwendung zum Rechtsextremismus in dieser Altersgruppe mehr für ein kulturelles Phänomen.
In Ihrem Film äußern sich die jungen Gruppenmitglieder aber schon politisch.
Zweifellos. Aber nehmen wir mal Thomas, der exemplarisch für diese Jugendlichen dort steht. Er ist in einem Alter, wo er sehr empfindlich auf seinen Vater reagiert, der Mist gebaut hat. Er müsste sein Idol aufgeben und da ist es einfacher zu sagen: "Die böse Polin hat meinen Vater umgepolt beziehungsweise mir weggenommen." Damit konzentriert sich der Hass in Richtung Ausländerfeindlichkeit: ein Ersatz-Schauplatz.
Wie haben Sie recherchiert? Gab es prekäre Situationen?
Jein. Ich hatte große Angst, aber es war nicht so gefährlich, wie man denkt. Ich stamme aus Cottbus, einer Stadt, die nach der Wende unrühmlich in die Schlagzeilen geraten ist, gerade mit der Gründung der "Deutschen Alternative". Ich kenne dort Leute, mit denen ich in DDR-Zeiten unterwegs war und auch mein zehn Jahre jüngerer Bruder lebt noch in Cottbus. Ich habe mit vielen Leuten gesprochen, ohne mich als Autor oder Regisseur erkennen zu geben. Außerdem habe ich Kontakte zu EXIT aufgenommen, dem Aussteigerprogramm für rechtsextreme Jugendliche, und sehr viele Informationen erhalten. In zahlreichen Einzelgesprächen habe ich mich langsam an das Thema herangetastet, bin nach Marzahn oder Hellersdorf gefahren. Dort allerdings griffen meine Klischees nicht; die Jugendlichen, die ich erwartete, existierten so nicht. Ich traf stattdessen teilweise auf Leute, denen ich keine Affinität zu rechtem Gedankengut zugetraut hätte. Der Dresscode ändert sich gerade und man muss die Zeichen sehr genau lesen können. Nicht nur Jugendliche aus sozial schwachem Milieu sind gefährdet, sondern ebenso Kids aus der Mittelschicht, aus Ärzte- oder Juristen-Familien.
Gibt es einen harten Kern, eine Gruppe von Unbelehrbaren?
Es gibt einen harten Kern in der Gruppe von noch nicht organisierten 16-Jährigen. Um den bewegen sich die anderen. Der harte Kern ist nicht explizit politisch aktiv, sondern tritt mit großer Klappe und sehr martialisch auf. Für viel gefährlicher halte ich die Intelligenten und Stillen, die versuchen, ideologische Löcher mit ihrer Argumentation zu füllen. Sie haben wenig Ahnung vom Nationalsozialismus und bringen Stellvertreterargumente, gefüllt mit Pathos und Gefühl. Das ist weniger eine ideologische Ebene als eine emotionale, die viel mit sozialen Defiziten zu tun hat. Den wirklich harten Kern findet man bei den wesentlich Älteren, wobei manche Rechtsextreme ein halbes Jahr später auch Hip-Hopper sein können.
Inwieweit spielen die männlich orientierte Erlebniswelt und Gruppenzwang eine Rolle?
Es geht oft primär darum, der Coolste, Tollste, Härteste oder Gefährlichste zu sein und nicht darum, sich gegenseitig aufzufangen. Man provoziert sich gegenseitig, es kommt zum latenten Zwang, sich immer extremer zu verhalten.
Was verbindet die beiden Protagonisten Georg und Thomas?
Beide sind letztlich Suchende. Georg glaubt, mit seinem Kampfsport seine innere Mitte gefunden zu haben, ist sehr selbstsicher, wurde aber noch nie auf die Probe gestellt. Bei Thomas ist es ähnlich, er hat einen Status, ein Machtgefühl, kann dadurch alle Verletzungen und Defizite kompensieren. Bei beiden wird die eigene Position durch das Auftreten des Gegenübers hinterfragt. Deshalb sind sie auch die einzigen, zwischen denen sich eine ernsthafte Freundschaft entwickelt. Der eine ist das Gegenstück zum anderen; sie sind wie zwei Jungen, die sich verrannt haben und ernsthaft bewähren müssen.
Gibt es bei dieser Art von Jugendkultur ästhetische Vorgaben?
Das haben wir möglichst zu vermeiden versucht. Wir sind von einem authentischen Ansatz ausgegangen, haben dann aber, speziell was die Gruppe um Thomas angeht, Versatzstücke eingebaut, die für jemanden, der von außen kommt, nicht klar rechtsextrem einzuordnen sind – wie den Armee-Parka, Symbol für die DDR und Status der DDR-Hippies. Gleichzeitig repräsentiert der Parka ein Symbol aus der Mods-Ecke der Subkultur der 1970er-Jahre, der Basis für die erste, noch relativ unpolitische Skinhead-Generation.
Welche Bedeutung haben Kamera- und Lichtführung für die Grundstimmung des Films?
Wir wollten Frankfurt an der Oder nicht nur als Ghetto sozial Schwacher zeigen, sondern vermitteln, dass dort nicht alles total runtergekommen ist, die Menschen im Osten nicht dem Klischee vom armen Idioten entsprechen. Ebenso bewusst benutzen wir Zitate, die auf die Filme von Leni Riefenstahl verweisen. Wir haben mit verschiedenen Materialien gearbeitet: Immer wenn Georg sich einer Situation nicht gewachsen oder überfordert fühlte und orientierungslos war, kam grobkörniges Material zum Einsatz. Das wird schleichend Stück für Stück immer mehr, bis er alle früheren Fix- und Orientierungspunkte verliert. Daher gibt es auch diese quasi Echtzeit-Sequenz ab dem Moment, in dem die Freundin nach Hause gefahren ist und er vor dem Denkmal sitzt, sich endgültig abgenabelt hat, beim Kampfsport rausgeflogen ist, sich nur noch fallen und treiben lässt.
Musste die Szene mit dem Bordstein-Bashing so realistisch sein?
Gewalt ist ein Phänomen, bei dem wir immer gerne wegschauen. In der Folge nehmen wir nicht mehr wahr, dass sich innerhalb dieser Gewalt Dinge lösen und weiterentwickeln. Die Wahrnehmung von Gewaltdarstellungen ist sehr unterschiedlich, gerade bei Computerspielen oder im Gothic-Bereich. Im Fernsehen wird die Faszination an Serienmördern rauf- und runtergespielt. Um sich von diesem einfachen Unterhaltungswert abzugrenzen, war ein Schock notwendig, der die Zuschauenden aus der Lethargie reißt. Der Film ist schließlich auch für Jugendliche, die den Rechten auf den Leim gehen und Gefahr laufen, in diese Kreise zu geraten. Auch deshalb mussten wir so weit gehen. Mit zunehmendem Alter werden die Probleme mit dieser Form von Gewalt größer.
Was erhoffen Sie sich von Kombat Sechzehn?
Ich hoffe auf eine andere Form der Auseinandersetzung. Der Film spricht die Sprache der Jugendlichen und vermeidet Vereinfachungen, will Vorurteile aufbrechen und auf die Gewalt aufmerksam machen. Die aufgeworfenen Fragen kann und soll der Film nicht beantworten. Der Zuschauer muss Position beziehen und sich fragen: Welchen Einfluss habe ich, ob jemand in die rechte Szene abdriftet? Wir alle sind letztendlich gefordert, nicht nur die Kids, auch das ältere Publikum.