Familiensaga in zwei Welten
"Ein Zwischenspiel im einst normalen Leben" – mit diesen Worten beschreibt die Inderin Ashima, Migrantin der ersten Generation, ihr neues Dasein in Amerika. Doch nach einiger Zeit muss sie sich eingestehen, dass "das Leben davor gar nicht mehr existiert, dass etwas Komplizierteres, Anstrengenderes an seine Stelle getreten ist." Ihr in den USA geborener Sohn Gogol, der wie seine Schwester Sonia zur zweiten Einwanderergeneration gehört, erlebt die Heimatkontroverse als Gratwanderung zwischen den Kulturen, der indischen und US-amerikanischen.
Die Geschichte der Identitätsfindungen dieser beiden Generationen von Migranten/innen schildert der neue Film von Mira Nair, eine Adaption des gleichnamigen Romans von Jhumpa Lahiri (2003). Die Handlung erstreckt sich über dreißig Jahre – ein Epos, das weder eine Aufsteiger-Saga armer Einwanderer/innen noch ein Klassendrama innerhalb der Oberschicht erzählt. Unaufdringlich, aber emotional eindringlich, thematisiert Regisseurin Mira Nair die Konflikte, die das Leben einer Familie zwischen zwei Kulturen mit sich bringt.
Suche nach Identität
Im Mittelpunkt der Handlung steht das bengalische Paar Ashoke und Ashima Ganguli, das unmittelbar nach der arrangierten Heirat Mitte der 1970er-Jahre vom subtropischen Kalkutta ins winterliche New York zieht, um dort ein gemeinsames Leben zu beginnen. In der neuen Heimat bekommen sie zwei Kinder. Der Junge wird von Ashoke nach seinem russischen Lieblingsautor Nikolai Gogol benannt – ein Name, der eine Verbindung zwischen einem schicksalhaften Ereignis in der Vergangenheit und einer besseren Zukunft im "zweiten" Leben schaffen soll. Im Gegensatz zu ihren Eltern identifizieren sich Gogol und seine Schwester Sonia weniger mit dem indischen, als mit dem amerikanischen Lebensstil. Nur widerwillig besuchen sie die Großeltern in Kalkutta und begegnen den traditionellen Feiern der bengalischen Gemeinde mit Zurückhaltung.
Immer wieder empfindet Gogol seinen Namen, aber auch seinen Migrationshintergrund als Bürde. Der junge Mann verliebt sich in eine Amerikanerin, heiratet aber zur Freude seiner Mutter doch eine bengalischstämmige junge Frau. Auch Moushumi gehört zur zweiten Generation indischer Migranten/innen. Die Ehe scheitert; die ethnische Zugehörigkeit als alleiniges Bindeglied scheint für eine stabile Partnerschaft nicht ausreichend zu sein. Freudvolle und schmerzhafte Momente begleiten den Yale-Studenten durch ein Leben, in dem er lernt, die beiden Kulturen, die er in sich trägt, zu akzeptieren. Die Mutter hingegen bekennt sich nach dem Tod ihres Mannes und der Trauerzeit zu ihrer neu gewonnenen Freiheit und beschließt, einen Teil des Jahres in ihrer ursprünglichen Heimat zu verleben.
Kino der Diaspora
Nach
Monsoon Wedding (2001), einem dem westlichen Publikumsgeschmack angepassten Film mit Bollywood-Elementen und
Vanity Fair (2004), der etwas unentschlossen geratenen Adaption des viktorianischen Romanklassikers von William M. Thackeray, kehrt Mira Nair mit
The Namesake zu ihren realistischen Wurzeln und einem persönlicheren Thema zurück: Mit 19 Jahren wanderte die in der indischen Stadt Rourkela geborene Nair in die Vereinigten Staaten aus, um in Harvard zu studieren.
Neben dem in Kanada lebenden Armenier Atom Egoyan oder der ebenfalls in Kanada arbeitenden Inderin Deepa Mehta gehört sie zu den wichtigsten Regisseuren/innen des vom iranischen Filmwissenschaftler Hamid Naficy beschriebenen "Accented Cinema", dem Kino der Diaspora. Durch ihre Verbindung zu zwei Welten, dem Herkunftsland und dem Land ihres künstlerischen Schaffens, bringen diese Filmemacher/innen einen neuen Blickwinkel in ihre Arbeiten ein. Mit unterschiedlichen Kulturen groß zu werden, ist auch die Erfahrung der Autorin Jumpa Lahiri, die als Tochter bengalischer Eltern in London aufwuchs und heute in den USA lebt. Ihren ersten Roman hat Mira Nair filmisch pointiert und dramaturgisch geschickt verdichtet.
Filmische Brücken
Kontrastreich stellt der Film die alte und die neue Heimat von Ashima und Ashoke nebeneinander. Visuell ist Kalkutta als bunter, dichtbesiedelter Ort in Szene gesetzt, der aus westlicher Perspektive auch ein wenig chaotisch anmutet. New York hingegen wirkt überschaubar, kühl in den Temperaturen und der Farbgestaltung. Verbindend erscheinen hingegen die Stahlbrücken von New York (Brooklyn Bridge) und Kalkutta (Howrah Bridge) in ihrer verblüffenden architektonischen Ähnlichkeit. Musikalisch kontrastieren zu Beginn Rabindra Sangeet, die klassischen Lieder des bengalischen Nationaldichters Rabindranath Tagore, und amerikanische Protestsongs der 1960er-Jahre. In der zweiten Filmhälfte, die Gogols Geschichte in den Mittelpunkt stellt, dominiert eine zeitgemäße Verschmelzung von Hip-Hop und indischer Popmusik.
Konzeption und Machart des Filmes bleiben dem Realismus verbunden und lassen immer auch ein wenig Humor zu. Wenn gesungen und getanzt wird – wie bei dem verliebten Geplänkel zwischen Gogol und Moushumi vor ihrer Hochzeitsnacht – dann ist das allenfalls ein ironisches Zitat von dramaturgischen Konventionen und der Prüderie vieler Bollywoodfilme. Trotz einiger dramaturgischer Längen ist
The Namesake ein wichtiger Beitrag zum Thema Migration, der mit genügend epischer Kraft ausgestattet ist, um zum Nachdenken über das Leben zwischen zwei Kulturen anzuregen.
Autor/in: Martin Ganguly, 01.06.2007