Hintergrund
Kriegsvergewaltigungen als Waffe
Vergewaltigungen im Krieg beschränken sich nicht auf die Geschehnisse während und nach dem Zweiten Weltkrieg, die der Film
Anonyma - Eine Frau in Berlin (Deutschland 2008) von Max Färberböck schildert, und auch die Massenvergewaltigungen während des Kriegs in Bosnien und Herzegowina Anfang der 1990er-Jahre waren keine unerklärlichen "Ausreißer". Sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen, auch Folter, sind Bestandteile vieler Kriege und stellen für die Opfer weltweit eine extrem traumatische Erfahrung dar. Einige Beispiele: In Liberia wurden während des Bürgerkriegs von 1989 bis 2003 schätzungsweise zwei von drei Frauen vergewaltigt. In der Demokratischen Republik Kongo wird von hunderttausenden vergewaltigten Frauen ausgegangen; auch nach Unterzeichnung des Friedensabkommens mit Ruanda im Jahr 2002 geht die brutale Gewalt gegen Frauen in einigen Teilen des Landes ungehindert weiter. Viele Täter vergewaltigen in Banden, benutzen dazu Waffen oder Glasscherben und lassen die Frauen schwer verletzt zurück. Studien aus Ruanda gehen davon aus, dass zwischen 250.000 und 500.000 Frauen und Mädchen während des Völkermords 1994 Opfer von Vergewaltigungen wurden – zigtausende wurden grauenvoll verstümmelt und umgebracht. Während des Kosovo-Kriegs 1998/99 wurden zwischen 23.000 und 45.000 Frauen Opfer sexualisierter Gewalt. Die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen, wenn auch oft nur mit geschätzten Zahlen, denn die Datenlage ist verheerend. Das Thema Kriegsvergewaltigungen zieht noch immer zu wenig Aufmerksamkeit auf sich – auch dies ein Ausdruck dafür, dass sexualisierte Gewalt lange zu den "Kollateralschäden" von Kriegen gezählt wurde.
Sexueller Ausdruck von Aggression
Zu allen Zeiten galten Frauen als "natürliche" Kriegsbeute von Männern: Ihre Körper symbolisieren die vermeintliche Ehre der Männer, ihre "Schändung" demonstriert Macht über die Gegenseite und die eigene Überlegenheit. Vergewaltigung und Folter von Frauen werden gezielt eingesetzt zur Demoralisierung des Gegners, zum Zweck ethnisch motivierter Vertreibungen und als Mittel gesellschaftlicher Unterdrückung. Daher führt der Begriff "sexuelle Gewalt" in die Irre: Vergewaltigung ist "kein aggressiver Ausdruck von Sexualität", sondern, so die Soziologin Dr. Ruth Seifer, "ein sexueller Ausdruck von Aggression" - die Gewalt wird sexualisiert. Sexualisierte Gewalt hat nichts mit Sexualität zu tun. Weder für den Täter, geschweige denn für das Opfer. Sie dient der Ausübung von Macht, Kontrolle und der Unterdrückung Anderer. Sexualisierte Gewalt ist kein Bagatelldelikt, sie ist ein schweres Menschenrechtsverbrechen.
Schande und Tabu
Die Betroffenen leiden häufig unter sozialer Ächtung, denn meist gelten Vergewaltigungen als persönliche Schande der Opfer. Frauen und Mädchen treibt dies oft in ein unlösbares Dilemma: Das Schweigen über die Tat bewahrt sie vor der Stigmatisierung in ihrer Gesellschaft, trägt aber neben den psychischen Folgen zugleich dazu bei, dass ihnen die Genugtuung verwehrt bleibt, ein kleines Stück Gerechtigkeit erfahren zu können und den Täter statt ihrer ausgegrenzt und bestraft zu sehen. Es gibt viele Gründe, über das Geschehene zu schweigen: Tabuisierung, fehlende Unterstützung, Ausgrenzung oder gar Bedrohung durch Familie und Gesellschaft. Viele Vergewaltigte sind in Folge schwanger geworden, ein hoher Prozentsatz ist HIV-positiv. Frauen tragen oft ein Leben lang an den seelischen und körperlichen Verletzungen. Hinzu kommen die Zerstörung sozialer Strukturen, Armut und unzureichende medizinische Versorgung – ein Friedensschluss bedeutet für Frauen oft nicht das Ende des Krieges: Typisch für Nachkriegsregionen ist das dauerhafte Fehlen von Sicherheit und permanent neue Gewalt an Frauen. So steigt während und nach bewaffneten Auseinandersetzungen regelmäßig der allgemeine Gewaltpegel in der Gesellschaft und damit die Gewalt von Männern Frauen gegenüber. Nicht selten werden Frauen und Mädchen auch von Friedenssoldaten und zivilen Helfern sexuell ausgebeutet oder sie werden Opfer von Zwangsprostitution. Die sozialen und psychischen Folgen von sexualisierter Gewalt im Krieg und in der Nachkriegszeit dauern oft jahrelang an; manchmal treten Traumasymptome noch in den nächsten Generationen auf.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Als Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen werden Vergewaltigungen im Krieg erst in neuerer Zeit anerkannt und geahndet. Anfang der 1990er-Jahre begannen mit der Einrichtung der Sondertribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda ernsthafte Versuche, sexualisierte Kriegsgewalt systematisch strafrechtlich zu verfolgen. Dazu hatte entscheidend der Mut bosnischer Frauen beigetragen, öffentlich über das Erlebte zu sprechen, was zu einem verstärkten öffentlichen Bewusstsein für die Problematik führte. 2001 wurde im Jugoslawien-Tribunal in Den Haag erstmals Vergewaltigung in Zusammenhang mit kriegerischen Aktionen als schwerer Verstoß gegen die Genfer Konventionen verurteilt und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Auf internationaler politischer Ebene hat die UN-Resolution 1325 des Sicherheitsrats im Jahr 2000 alle Parteien bewaffneter Konflikte aufgefordert, Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen. Die UN-Resolution 1820 vom 19. Juni 2008 hat erstmals den Einsatz sexualisierter Gewalt als Kriegstaktik bezeichnet und festgestellt, dass sexualisierte Gewalt eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bedeuten kann.
Schritte in die richtige Richtung
Ahndung und Strafverfolgung von Kriegsvergewaltigungen sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Nur durch Verhängung von Strafen kann erreicht werden, dass diese Kriegswaffe weniger eingesetzt wird. Für die Überlebenden sexualisierter Gewalt ist die öffentliche Anerkennung ein wichtiges Signal gegen ihre Stigmatisierung – allerdings bleiben sie auf der Suche nach Gerechtigkeit häufig auf der Strecke, sei es wegen erneuter Erniedrigung durch Richter und Verteidigung, durch unwürdige Behandlung seitens des Gerichtspersonals oder weil Vergewaltigungen erst gar nicht zur Anklage kommen. Insbesondere der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda hat bei Kriegsvergewaltigungen nachlässig ermittelt, Anklagepunkte wurden zum Teil willkürlich fallengelassen und die Zeuginnen von Richtern und Justizpersonal in ihrer Würde verletzt und erneut traumatisiert. In einer Anklage zur Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten in der Demokratischen Republik Kongo spielte sexualisierte Gewalt gegen Kindersoldatinnen keine Rolle, obwohl die Zwangsrekrutierung von Mädchen quasi gleichbedeutend mit sexueller Versklavung ist. Bislang steht fest: Weder die bisherige Strafverfolgung noch die wachsende Wahrnehmung dieser Gewalt oder ihre Ächtung in UN-Resolutionen haben das Ausmaß von Kriegsvergewaltigungen einschränken können.
Links und Literatur
www.amnesty.de
Die Organisation Amnesty International setzt sich für die Durchsetzung aller in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte formulierten Rechte ein. Amnesty engagiert sich unter anderem für den Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt und Unterdrückung.
www.medicamondiale.org
medica mondiale e.V. setzt sich seit 15 Jahren für traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten ein. Dabei versteht sich die Organisation als Anwältin für die Rechte und Interessen von Frauen, die sexualisierte Kriegsgewalt überlebt haben. Neben gynäkologischer Versorgung, psychosozialer und juristischer Unterstützung leistet medica mondiale politische Menschenrechtsarbeit.
www.terredesfemmes.de
TERRE DES FEMMES ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Frauen und Mädchen, die durch internationale Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Aktionen, Einzelfallhilfe und Förderung von einzelnen Projekten Frauen und Mädchen unterstützt.
Fischer, Erica: Am Anfang war die Wut. Monika Hauser und das Projekt medica mondiale. Ein Frauenprojekt im Krieg, Köln 1997
Hermann, Judith Lewis: Die Narben der Gewalt, München 1994
medica mondiale e.V., Karin Griese (Hrsg.): Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen. Handbuch zur Unterstützung traumatisierter Frauen in verschiedenen Arbeitsfeldern, Frankfurt am Main 2006
Poutrus, Kirsten: Ein fixiertes Trauma – Massenvergewaltigung bei Kriegsende in Berlin, in: Feministische Studien 2, 1995, Weinheim, S. 120-129
Seifert, Ruth: Vergewaltigung und Krieg, in: Stiglmayer, Alexandra (Hrsg.): Massenvergewaltigung: Krieg gegen die Frauen, Frankfurt am Main 1993, S. 87-112
Wullweber, Helga: Vergewaltigung als Waffe und das Kriegsvölkerrecht, in: Kritische Justiz 1993, Baden-Baden, S. 178-193
Autor/in: Britta Amorin, Mitarbeiterin von medica mondiale e.V., einer Organisation, die sich für traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten einsetzt, 25.09.2008
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Germany License.