Hintergrund
Martial-Arts-Filme
Filme über Schwertkämpfer/innen und Kampfkünstler/innen
Von Ost nach West
Der Martial-Arts-Film litt im westlichen Kino lange unter einem Image-Problem. In den 1960er- und 70er-Jahren war der so genannte
Eastern als asiatisches Pendant zur Western-Erzählung ein Phänomen der Bahnhofs- und Mitternachtskinos. Dort liefen Filme über Kung-Fu und Schwertkämpfer/innen neben den Blaxploitation-Filmen afro-amerikanischer Filmemacher, neben billig produzierten Actionstreifen und italienischem Kannibalen-Horror, kurz: neben allem, was im Mainstream keinen Platz fand oder für traditionsreiche Kinopaläste als anrüchig galt. Da der Martial-Arts-Film dem asiatischen Kulturraum entstammt und auf diesen verweist, erreichte er in Europa und Amerika in den ersten Wellen der 1960er-Jahre lediglich ein Nischenpublikum. Das sollte sich erst ändern, als der taiwanesische Regisseur Ang Lee mit dem Epos
Tiger & Dragon (Crouching Tiger, Hidden Dragon, Hongkong, Taiwan, China, USA 2000) den asiatischen Martial-Arts-Film auch im westlichen Kino salonfähig machte.
Ursprung in der Literatur
Die Wurzeln des (chinesischen) Martial-Arts-Films gehen zurück auf die literarische Form des Wuxia, dessen Ursprünge etwa im dritten Jahrhundert vor Christus liegen. In der chinesischen Bevölkerung waren (und sind) diese Geschichten äußerst populär, nicht zuletzt weil ihre Helden/innen meist aus unteren Gesellschaftsschichten stammten. Sie waren Schwertkämpfer/innen oder Kung-Fu-Meister/innen, die einem Ehrenkodex folgend vor allem die hilflose Bevölkerung schützten. Damit standen sie außerhalb der Rechtsordnung, galten also – ähnlich dem Cowboy im amerikanischen Western – als Gesetzlose. Auch die im Martial-Arts-Film häufig anzutreffenden Fantasie-Elemente fanden sich bereits in klassischen Wuxia-Erzählungen: Viele Helden/innen besaßen übermenschliche Kräfte, konnten fliegen oder über Wasser laufen.
Die Studioära in Hongkong
Seinen Siegeszug feierte der Martial-Arts-Film Mitte der 1960er-Jahre von Hongkong ausgehend, wo die von den Brüdern Run Run und Runme Shaw gegründete Produktionsfirma Shaw Brothers dem Genre zum Durchbruch verhalf. Produziert wurde alles, was billig und finanziell einträglich war. Der Martial-Arts-Film entwickelte sich schnell zum beliebtesten Genre des Shaw-Imperiums. Glücklicherweise gab es im Team der Shaws ein paar Regisseure, die sowohl kosteneffizient arbeiten konnten als auch eine künstlerische Vision vertraten. So entstanden einige der bis heute schönsten Martial-Arts-Filme.
Frauen mit Schwertern
King Hus
Das Schwert der gelben Tigerin (Da zui xia/Come and Drink with me, Hongkong 1966) zeigte erstmals die nahe Verwandtschaft von Kampfkunst und Ballett. Hu, der sein Handwerk in der klassischen Peking Oper gelernt hatte, inszenierte seine Kämpfe mit einer Grazie und
Farbenpracht, die mitunter an Hollywood-Musicals der 1950er erinnerte. Das Besondere an
Das Schwert der gelben Tigerin war jedoch, dass er eine weibliche Hauptfigur aufbot, was im stark männerdominierten Genre damals eine Ausnahme war. Damit zählt der Film neben
Intimate Confessions Of A Chinese Courtesan (Ai nu, Yuen Chorm, Hongkong 1972) und dem japanischen
Lady Snowblood (Shurayukihime, Toshiya Fujita, 1973) auch zu einem Subgenre feministisch angehauchter Martial-Arts-Filme, die Quentin Tarantino später als Vorlage für seine beiden
Kill Bill-Filme (Kill Bill Vol. 1 und Vol. 2, USA 2003 und 2004) dienten.
Bruce Lee – Idol der Jugend
Bis weit in die 1980er-Jahre produzierten die Shaw-Brüder Hunderte von Martial-Arts-Filmen, darunter Klassiker wie The One-Armed Swordsman (Dubai dao, Cheh Chang, Hongkong 1967) oder Die 36 Kammern der Schaolin (Shao Lin san shi liu fang/The 36th Chamber of Shaolin, Chia-Liang Liu, Hongkong 1978). Konkurrenz bekamen sie Anfang der 1970er-Jahre von der Produktionsfirma Golden Harvest, die die Shaws als erfolgreichste Produzenten von Martial-Arts-Filmen ablöste. Ihr größter Coup war ein junger Kung-Fu-Kämpfer, der weltweit schon bald zum Idol von Millionen Teenagern werden sollte: Bruce Lee. Er ist bis heute das Synonym für asiatische Kampfkunst, auch wenn seine Filme nur selten an die Qualität der Shaw-Produktionen heranreichten. Lee starb kurz nach den Dreharbeiten zu Der Mann mit der Todeskralle (Enter the Dragon, Robert Clouse, Hongkong, USA 1973), der heute als einer der besten Martial-Arts-Filme überhaupt gilt.
Jackie Chan – Kampf und Komödie
Jackie Chan in Karate Kid
Bruce Lees Popularität öffnete allgemein vielen Kampfsportlern wie etwa Chuck Norris oder Jean-Claude Van Damme das Tor zum Film. Zu ihnen gehörte auch der zweite große Star des Martial-Arts-Kinos: der Hongkong-Chinese Jackie Chan. Er verfügte nicht nur über einzigartige akrobatische Fähigkeiten, sondern auch über ein perfektes komödiantisches Timing. Filme wie
Sie nannten ihn Knochenbrecher (Jui kuen/Drunken Master, Yuen Woo Ping, Honkong 1978) oder
Police Story (Jackie Chan, Hongkong 1985) waren eine Steigerung der "physical comedy" der Stummfilmära. Schnell hatte Chan damit seinen Ruf als "Buster Keaton des Martial-Arts-Films" weg. Dank dieser Kombination aus Kampfkunst und Humor blieb er neben seinem großen Vorbild Bruce Lee der einzige Martial-Arts-Star, dem auch im westlichen Mainstreamkino Erfolg beschieden war. Das prädestinierte ihn auch für die Rolle des Mr. Han in
Karate Kid (The Karate Kid, Harald Zwart, USA 2010), einer Neuverfilmung des gleichnamigen Films aus dem Jahre 1984, der im Zuge einer ersten Welle von Karate-Filmen in Amerika für eine junge Zielgruppe auf den Markt kam.
Die Drahtseiltechnik
Erst mit Jet Li fand das Kino wieder einen Darsteller, der eine ähnlich introvertierte Ausstrahlung hatte wie Bruce Lee. Jet Li war der prominenteste Vertreter einer weiteren Martial-Arts-Welle Ende der 1980er-Jahre, die durch ein neuerliches Interesse am Hongkong-Kino, dank Regisseuren wie John Woo und Tsui Hark und speziell durch den internationalen Erfolg von A Chinese Ghost Story (Sien nui yau wan, Hongkong 1987) ausgelöst wurde. Dessen Regisseur Ching Siu Tung gehörte neben dem Choreografen Yuen Woo Ping zu den Meistern der Drahtseiltechnik, dem so genannten Wire Fu, das atemberaubende Stunts ermöglichte. Denn anstatt sich allein auf das akrobatische Können der Darsteller/innen zu verlassen, wurden diese nun an Drahtseilen befestigt, was spektakuläre Duelle, bei denen die Kämpfer/innen große Distanzen im Flug überwanden oder übermenschliche Kräfte entwickelten, erlaubte.
Kampfkunst und Hollywood
Andy und Larry Wachowski machten mit ihren
Matrix-Filmen (USA 1999-2003) die Drahtseiltechnik auch in Hollywood populär, wo Mitte der 1990er Martial-Arts-Inszenierungsformen zunehmend auch in Mainstream-Produktionen integriert wurden, wie etwa in
3 Engel für Charlie (Charlie's Angels: Full Throttle, McG, USA 2003). In den USA war Yuen Woo Ping, der unter anderem für die Choreografien in
Tiger & Dragon und
Kill Bill verantwortlich war, erfolgreich. Er bemerkte jedoch zuweilen, dass Hollywood die Tradition des
Wire Fu nie richtig verstanden habe – allerdings war es auch in Hongkong üblich, in Filmen wie
Shaolin Kickers (Siu lam juk kau, Stephen Chow, Hongkong, China 2001) Martial-Arts-Einlagen digital nachzubearbeiten. Dieses Missverständnis ergab sich nicht zuletzt daraus, dass das US-Kino mit Chuck Norris, Jean Claude Van Damme oder Steven Seagal Martial-Arts-Stars westlicher Prägung hervorbrachte, deren Filme auf den Actionfilm-Markt ausgerichtet waren und so mit den Feinheiten fernöstlicher Philosophien nur wenig anzufangen wussten.
Große Filmkunst
Den Wandel vom reinen Genrestoff zum Massenkino vollzog der Martial-Arts-Film über den Umweg des Arthouse-Kinos. Der Erfolg von
Tiger & Dragon und Zhang Yimous
Hero (Ying xiong, Hongkong, China 2002), beide für den internationalen Markt produziert, weckte ein breites Interesse am Martial-Arts-Film, nicht zuletzt weil es Lee und Zhang gelang, die Kampfkunst in populäre Formen zu überführen: Der Konflikt in
Tiger & Dragon spielt sich vor dem Hintergrund zweier Liebesgeschichten ab, während
Hero sich der Ästhetik des Historienepos bedient (was Zhang den Vorwurf des Nationalismus einbrachte). Dieser Rekurs über das Arthouse-Kinos widerlegte das alte Vorurteil, bei Martial-Arts-Filme handele es sich lediglich um primitives Prügelkino, und hob sie in den Rang von Filmkunst. Denn im Kino wie in der Kampfkunst geht es letztlich um dasselbe: Bewegung – in höchster Vollendung.
Autor/in: Andreas Busche, Filmpublizist und Filmrestaurator, 20.06.2010
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