Hintergrund
Fehler im System – Das Kino erzählt die Krise der Märkte
"Erklären Sie mir, was gerade geschieht – und tun Sie es, als würden Sie mit einem kleinen Kind sprechen oder einem Golden Retriever", sagt Jeremy Irons in J.C. Chandors Finanz-Thriller
Der große Crash – Margin Call. Der Direktor einer großen New Yorker Investmentbank hat um zwei Uhr nachts seine wichtigsten Mitarbeiter in den Konferenzraum beordert. Einer seiner Analysten hat wenige Stunden zuvor festgestellt, dass der Gesamtwert der Hypothekenanleihen im Bankbesitz nicht mehr vom Unternehmensvermögen gedeckt ist. Die Konsequenzen sind alarmierend: Es droht der Konkurs, wenn es den Tradern nicht schnell gelingt, die wertlosen Papiere an Kunden zu verkaufen und den drohenden Verlust damit auf andere abzuwälzen.
Der große Crash – Margin Call entwirft ein perfides Szenario: Die Mächtigen des Hochkapitals, die buchstäblich in gläsernen Türmen über dem New Yorker Finanzzentrum residieren, haben den Überblick über ihre eigenen Geschäfte verloren. "Ich kann Ihnen versichern, dass es nicht mein Wissen war, das mir diesen Posten beschert hat", erklärt der Bankvorstand mit Geierlächeln.
Die Erzählung der Finanzkrise
Die amerikanische Bankenkrise 2007/08 traf nicht nur die globalen Finanzmärkte aus heiterem Himmel. Auch das Kino benötigte einige Jahre, um die Ursachen und Folgen der gigantischen Fehlspekulationen im US-Immobilien- und Hypothekensektor systematisch aufzuarbeiten. Die Komplexität dieser Aufgabe ist enorm, wie auch Adam McKays
The Big Short zeigt. Die Darstellbarkeit solch einer finanziellen "Kernschmelze" erweist sich als Herausforderung für Filmemacher/-innen. Ökonomische Prozesse und Geldflüsse lassen sich im Kino nur schwer abbilden, das Narrativ des Finanzmarktes ist seinem Wesen nach unfilmisch. Auch darum waren die ersten Reaktionen auf die Finanzkrise Dokumentarfilme wie
Inside Job (2010) und
Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte (2009), die sich analytisch oder empirisch mit dem Zusammenbruch des Finanzmarktes auseinandersetzten.
Inside Job versuchte mithilfe von Interviews mit Finanzexperten und –expertinnen sowie Insidern aus dem Bankensektor die Chronologie der Ereignisse aufzurollen – angefangen bei der Deregulierung der US-Finanzmärkte in den 1990er- und 2000er-Jahren bis zur Staatskrise in Island 2008. Im folgenden Jahr nahmen sich die ersten Spielfilme der Bankenkrise an: Neben
Der große Crash – Margin Call war die Fernsehproduktion
Too Big to Fail – Die große Krise von Curtis Hanson der zweite Ensemblefilm zum Thema.
Perspektivenwechsel im Ensemblefilm
Master of the Universe (Foto: Arsenal Filmverleih)
Interessant ist ein Vergleich von
The Big Short und
Der große Crash – Margin Call, um die unterschiedlichen filmischen Ansätze aufzuzeigen, die das abstrakte Konstrukt des Finanzmarkts in eine narrative Form übersetzen. In beiden Fällen bietet der multiperspektivische Ensemblefilm den idealen Rahmen für die Erzählung der Finanzkrise: Wie die zahllosen
Talking Heads in den Dokumentarfilmen zum Thema ermöglicht ein Figurenensemble einen komplexen Gesamteindruck von den unzähligen Faktoren, die beim Zusammenbruch der Finanzmärkte eine Rolle spielen. Unter den Dokumentarfilmen gibt es allerdings auch Ausnahmen wie
Client 9: The Rise and Fall of Eliot Spitzer aus dem Jahr 2009 und die deutsche Produktion
Master of the Universe von Marc Bauder, die Einzelpersonen in den Mittelpunkt stellten.
Finanzkrise als Kammerspiel
Formal könnten
The Big Short und
Der große Crash – Margin Call trotzdem kaum unterschiedlicher ausfallen. J.C. Chandor konzentriert sich in seinem Film auf einen Zeitraum von 36 Stunden vor dem großen Beben der Finanzmärkte. Sein Film rekonstruiert in Form eines Kammerdramas die Entscheidungsprozesse auf Management-Ebene, die schließlich zum Crash führten. Die Hermetik seiner
theaterhaften Inszenierung suggeriert bereits, wie weit sich die Machtsphären der Finanzwelt von der Realität entfernt haben. Der Blick auf die Stadt fällt entweder aus großer Höhe (über das nächtliche Lichtermeer Manhattans) oder aus fahrenden Limousinen heraus. "Die Menschen da draußen haben nicht die geringste Ahnung, was ihnen bevorsteht", meint einer der Jungbanker einmal mit Blick durch die abgedunkelten Scheiben.
Feuerwerk visueller Effekte
The Big Short (© Paramount)
Auch
The Big Short, der über einen Zeitraum von zwei Jahren spielt, lebt von seinen dichten Dialogen. Doch Regisseur Adam McKay wählt eine Filmsprache, die für die hohe Informationsdichte der Wortgefechte einen entsprechenden Rhythmus findet. Schnelle
Schnitte und der prominente Einsatz von
Hip-Hop-Stücken zielen eher auf kurze audiovisuelle Effekte ab. Auch die didaktischen Inserts sind diesem stakkatohaften Bilderfeuerwerk, das immer wieder an Musikvideos erinnert, untergeordnet. Wenn etwa Popstar Selena Gomez in einem Spielcasino die Funktion eines synthetischen CDO erklärt, überlappen sich in der
Montage Bilder und
Tonspur. So entsteht eine hektische Ungleichzeitigkeit, die der Film vor allem in der ersten Stunde, in der die komödiantischen Pointen noch überwiegen, zum Stilmittel erhebt.
The Big Short bedient sich einer popkulturaffinen Ästhetik, die wiederum als ironischer Kommentar auf die Popularisierung gesellschaftlicher Diskurse zu verstehen ist. Der Film löst das Problem der Darstellbarkeit, indem er die Finanzkrise nicht – wie in
Der große Crash – Margin Call gefordert – auf dem Niveau eines Hundes erklärt, sondern mit erzählerischen Mitteln, die auch der Youtube-Generation vertraut sein dürften.
Kapitalismuskritik im Kino
Mit ihrer Kritik am Finanzsektor gehen
The Big Short und
Der große Crash – Margin Call weiter als Olivers Stones
Sequel Wall Street: Geld schläft nicht oder die deutsche Produktion
Zeit der Kannibalen. Letztere interessieren sich weniger für die Mechanismen des Marktes als für eine Mentalität, in der Gier und ökonomische Allmachtfantasien koexistieren. Diese Beispiele gehören zu einem Korpus von kapitalismuskritischen Filmen, der seit einigen Jahren stetig zunimmt. Filme wie
Enron – The Smartest Guys in the Room (2005) über den Strom-"Blackout" in Kalifornien 2001 und
Let’s Make Money (2008) entstanden zu einem Zeitpunkt, als sich die Finanzkrise zwar noch nicht abzeichnete, aber die Konsequenzen deregulierter Märkte bereits erkennbar waren. Einen kritischen Blick auf die globalen Verhältnisse bietet der Dokumentarfilm
I Want to See the Manager, der an Beispielen aus Indien, Bolivien und Venezuela schildert, wie die Bewohner des globalen Südens auf die Auswirkungen des Kapitalismus reagieren.
Autor/in: Andreas Busche, Filmkritiker und Kinofenster-Redakteur, 06.01.2016
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