Geleimte Gesellschaft
Glosse
Kinder sind Klebstoff im amerikanischen Film. Sie kleben zusammen, was zusammen gehört: Papa, Mama, Baby. Dieser Knabe da in Schlaflos in Seattle, der liest einen Brief von Meg Ryan und gibt keine Ruhe, bis sie seinen Papa Tom Hanks mit ihren sentiment-roten Nasenlöchern einfängt. "0h Happy End", jubeln Hochzeitschöre. Wie kann das angehen: erst das Kind und dann die Hochzeit? Ach, die Welt ist ja so brüchig, jedenfalls vor dem Schluss von Hollywoodfilmen. Dann muss sie gekittet sein. Und dazu braucht man den Klebstoff der Kinder.
Der 'Fall' von Seattle ist noch harmlos; der Tod der Mutter hat Papa und Kind so einsam gemacht. Aber seit Kramer gegen Kramer weiß Hollywood, dass Scheidung und Scheidungskinder existieren. Ein untragbarer Zustand, wenn er sogar Demi Moore in den Striptease treiben kann. Auch soll es Mütter geben, die sich nie Hollywoodfilme anschauen. Denn sie sind ledig – wie die schöne Tänzerin in Independence Day mit Sohn und dem Papa in spe als Alleskleber. Kein Wunder, dass ob solcher Zustände böse Aliens über die Erde kommen müssen – Racheengel wider die heillose Libertinage. In Independence Day produziert diese Heimsuchung Ehemänner als Helden und verhindert die Trennung des ewig versprochenen Paars durch weibliche Polit-Karriere. Auch Aliens sind also Klebstoff. 0h Happy End!
Das ist die Arbeitsteilung: Schauerliche Katastrophen (auch 'Twister' oder Saurier) treiben Geschiedene und Ledige zu Paaren. Niedliche Kinder lohnen es ihnen. Doch Vorsicht: die späteren Zersetzer der heiligen Familie macht Hollywood auch schon im Kindesalter dingfest. Sie stecken ihre Nasen in Bücher und tragen dicke Hornbrillen. Das werden später Intellektuelle. Pfui! Solche Typen tauchen von American Graffiti über Willkommen im Tollhaus bis zu Marvins Töchter auf – ein potenzielles Lösungsmittel statt des gehätschelten Leims.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 12.12.2006