Einführung
Aus der Bahn geworfen
Wer kennt es nicht, das Gefühl, aus der Bahn geworfen zu sein? Solche Unterbrechungen des Lebensalltags, der täglichen Routine und eingeschliffenen Verhaltenskontrolle sind oft jedoch äußerst produktiv. Krisen dieser Art gehören zum individuellen Reifungsprozess eines Menschen und verschwinden meistens nach kurzer Zeit wieder. Was aber ist, wenn sich ein Mensch dauerhaft und existenziell aus der (Lebens-)Bahn geworfen, ohne Perspektiven, chancenlos im Leben fühlt?
In Good Will Hunting putzt ein intelligenter, hoch begabter Jugendlicher aus ärmlichen Verhältnissen mit verbaler Gewalt jeden herunter, der ihm in die Quere kommt und greift manchmal auch ungehemmt zur physischen Gewaltanwendung, was ihn schließlich ins Gefängnis bringt. – In Der Gejagte erweist sich ein Cop, der das staatliche Gewaltmonopol legitim vertritt und schon als Kind unter seinem tyrannischen Vater zu leiden hatte, unfähig, wirkliche Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen, so dass er zunehmend gewalttätig und seinem Vater immer ähnlicher wird. – Und in Butcher Boy – Der Schlächterbursche begleitet sogar die Explosion einer Atombombe die Gewaltausbrüche eines Jungen aus zerrüttetem Elternhaus im erzkonservativen Irland der 60er Jahre, der von seiner Umgebung immer mehr zum Außenseiter und Sündenbock abgestempelt wird.
Deutlicher kann man fast nicht mehr zum Ausdruck bringen, wie individuelle und kollektive Gewalt miteinander verzahnt sind, wenn durch die soziale Herkunft und Entwicklung erst einmal bürgerliche Wertvorstellungen ins Wanken geraten, ganz außer Kraft gesetzt oder gar Feindbilder aufgebaut werden. Die drei Filme zeigen auf eindrucksvolle Weise aber auch, wie persönliche Probleme aus der Kindheit, wie eine negative soziale Prägung sich unter bestimmten Voraussetzungen bis in das Erwachsenenalter fortsetzt und gleichermaßen nachhaltig das soziale Umfeld der Betroffenen beeinflusst. Ob diese dann noch zu einem normalen Leben (zurück-)finden, hängt zwar in erster Linie von ihrer Einsichtsfähigkeit und Bereitschaft zur Veränderung ab, aber wesentlich auch davon, wie die Umwelt auf die aus der Lebensbahn Geworfenen reagiert, wie Freunde und die Gesellschaft Hilfe leisten. Eine Schlüsselrolle bei der möglichen (Wieder-)Eingliederung der Betreffenden in die Gesellschaft kommt der gegenseitigen Fähigkeit zur Kommunikation und zur Einfühlung in die Probleme des anderen zu.
Die sozial gestrandeten männlichen Protagonisten (ein Junge, ein Jugendlicher und ein Mann "im besten Alter") haben alle im Umgang mit eigenen Aggressionen und Gewalt besondere Probleme. Dieser ist offensichtlich stark beeinflusst von eher traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit, angefangen von der Art und Weise, mit Gefühlen umzugehen, bis hin zur Einschätzung dessen, was 'männlich' bzw. 'unmännlich' ist. Spätestens an dieser Stelle gehen die Filme weit über die individuellen Einzelschicksale hinaus und verweisen auf größere gesellschaftspolitische, kulturelle und entwicklungspsychologische Zusammenhänge.
Autor/in: Holger Twele, 12.12.2006