Starke Macker - um jeden Preis?
Männerforscher Walter Hollstein meint: "Die traditionelle Männlichkeit von Herrschaft, Stärke, Unerschütterlichkeit, Wettbewerb und Kontrolle wird heutzutage mehr und mehr in Frage gestellt." Er befragte rund 700 Männer und stellte fest: Der Mann ist auf dem Weg zu "mehr Nachsicht, Hingabe und Verantwortung". – "Der normale Mann ist (meistens) gewalttätig – der gewalttätige Mann ist 'meistens' normal", meinen hingegen Gerhard Hafner und Christian Spoden von der Berliner Beratungsstelle für gewalttätige Männer. Nach Schätzungen des Bundesfamilienministeriums hat jede dritte Frau in ihrer Partnerschaft schon einmal Gewalt erlebt. Wie passt das zusammen? Wie sieht der Mann sich selbst und was will er? Fast jeder will wohl männlich sein. Aber wie stark muss der Mann sein, um als männlich zu gelten? Sind Gefühle immer noch eher weiblich und Kraft männlich? Wie viel Schwäche kann der Mann zeigen, ohne zu riskieren, dass er als Versager oder Schlappschwanz abgestempelt wird? Männer erfahren in ihrer Jugend kaum, dass es keinen Menschen gibt, der in allen Lebenslagen der Überlegene sein kann – ein Männerbild, das herkömmliche Kino-Helden meist zur Schau stellen. Männer können selten reale Vorstellungen vom "Männlichsein" entwickeln, denn reale männliche Vorbilder fehlen, zuhause genauso wie im Kindergarten und der Grundschule. Wir leben in einer "vaterlosen Gesellschaft", auch 30 Jahre nachdem Alexander Mitscherlich dies festgestellt hat.
Fast die Hälfte der Männer zwischen 26 und 45 Jahren, die Walter Hollstein befragt hat, sind von ihren Vätern nie geküsst worden. Die meisten von ihnen nahmen sich vor, mit den eigenen Kindern gefühlsbetonter umzugehen. Eine Umfrage unter 1760 Schülern zwischen 14 und 16 Jahren, die 1996 an der Universität Dortmund durchgeführt wurde, ergab jedoch: Nur fünf Prozent der Jungen umarmt oder küsst den Vater zur Begrüßung. Ganze zwei Prozent würden sich bei Kummer vom Vater trösten lassen. 45 Prozent der Jungen haben den Vater noch nie weinen sehen. Stark sein, auch wenn man sich schwach fühlt. Dass auch der Vater diesem Leitbild nicht immer entsprechen kann, bleibt den Söhnen verborgen. Wie sehr sie unter beruflichen Problemen oder Überforderungen leiden, zeigen zuhause nur die wenigsten Männer. Welches Kind durchschaut schon, dass so manch eine aggressive Reaktion des Vaters daher rührt. "Männer kennen keine Überforderung, es gibt für sie nur Anforderungen oder Versagen. Der Junge verinnerlicht: Papa kann alles..." Ein fataler Trugschluss, dem Joachim Lempert und Burkhard Oelemann vom Hamburger Männerzentrum bei ihrer Arbeit mit gewalttätigen Männern immer wieder begegnen.
Auch in ihrem Verhalten der Partnerin gegenüber leben Väter heute wie vor 50 Jahren immer noch vor, was männliche Überlegenheit bedeutet: Häusliche Pflichten überlässt Mann, auch wenn beide Elternteile berufstätig sind, weitgehend der Frau. Was nützt es da, wenn die Mehrheit der Eltern erklärt, eine geschlechtsspezifische Erziehung sei überholt? Als Vorbilder sprechen sie offensichtlich (so eine Umfrage unter Hortkindern 1993) eine andere Sprache: "Jungen können sich verwöhnen lassen, die brauchen kein Essen zu kochen und können im Bett liegen bis zehn, ohne den Haushalt zu machen", so David, 10 Jahre alt. Auch für Gunnay, 8 Jahre, ist ganz klar: "Männer bestimmen in der Familie." Der starke Macker, der coole, rücksichtslose Draufgänger macht auf dem Schulhof das Rennen – heute genauso wie vor 30 Jahren. "Die Jungen betatschen den Po von Mädchen, die vorbeikommen" – Übergriffe, von denen schon achtjährige Mädchen zu berichten wissen. Bei älteren versuchen sie, den BH am Rücken fletschen zu lassen oder ihren Busen flüchtig zu berühren. Jeder soll es sehen, der junge Mann tut was er will. Mann, ist der stark!
Größer, schneller, öfter, mehr, das sind die Maßstäbe, nach denen Jungen untereinander um Anerkennung kämpfen. Was zählt, ist Rivalität und Hierarchie. Es wird gelogen, geprotzt und geprahlt, um den anderen Jungen vorzumachen, was für ein toller Hecht man doch ist. Wirkliche Nähe gibt es unter Jungen kaum, unter erwachsenen Männern erst recht nicht, sonst würden sie ja Gefahr laufen, "ertappt" zu werden, erklären Joachim Lempert und Burkhard Oelemann. Mann darf nicht preisgeben, wie es wirklich in ihm aussieht. Oft weiß es nicht einmal die Partnerin, die – seit sie sich nicht mehr auf Heim und Herd beschränkt – von vielen Männern zunehmend als Konkurrenz empfunden wird. Gefühle sind kein Thema – positive genauso wenig wie negative.
Die Emanzipation der Frauen hat dem traditionellen Männerbild vom starken Beschützer und Ernährer den Glanz genommen. Doch neue, alternative Männlichkeitsbilder sind noch nicht in Sicht. Weiche, fürsorgliche und gefühlsbetonte männliche Vorbilder fehlen in unserer Gesellschaft. Die vorherrschenden Idealbilder von Männlichkeit sind jedoch unerreichbar und unrealistisch. Darunter leiden sehr viele Männer. Die meisten verdrängen dieses Gefühl, sie wollen und können die eigenen Schwächen nicht spüren. Statt dessen versuchen sie, den starken Macker um jeden Preis zu spielen.
Autor/in: Susanne Petz, 12.12.2006