Was für ein Empfang: verwüstete Häuser, ausgebrannte Autos, das trockene Knattern der Maschinengewehre, dann, wie zum Hohn, ein Lied – "Welcome to Sarajevo", willkommen in der zerstörten Stadt! Der zynische Ton des Titels klingt – als bewusstes wie unbewusstes Indiz für das Gefühl von Ohnmacht – mehrfach an in diesem Film: in einer Statistik, die knapp konstatiert, dass Sarajevo auf der Liste der gefährlichsten Städte der Welt nur den 14. Rang einnimmt oder in den teilweise absurd erscheinenden Statements diverser Politiker, die Michael Winterbottom einblendet.
Welcome to Sarajevo mag als bislang politischster Film des Engländers erscheinen, doch erweist er sich auch diesmal vor allem als Regisseur, der auf subtile Weise das menschliche Verhalten in Extremsituationen studiert. So wäre es undenkbar, dass sich der 37-Jährige mit dem ganz anders gelagerten Phänomen des Golfkriegs auseinander setzen würde; ein Krieg, der in der Öffentlichkeit Züge eines virtuellen Spiels annahm, eines von Computern ausgetragenen Kräftemessens ohne menschliche Beteiligung. Wenn Winterbottom gleich zu Beginn seines Films den Blick auf eine Gruppe von Hochzeitsgästen lenkt, wenn er zeigt, wie aus dem Nirgendwo plötzlich ein Schuss fällt und eine Frau tot zusammenbricht, führt er den Krieg aus dem trügerischen Anschein der Anonymität dorthin zurück, wo er in Wirklichkeit immer stattfindet: mitten im Alltag der Zivilbevölkerung.
Von dieser Erkenntnis bleiben bei Winterbottom auch die in Sarajevo arbeitenden Journalisten, Fotografen und TV-Produzenten nicht unberührt, denen es bei der Lieferung möglichst aufwühlender Bilder zunächst keineswegs um moralische Entrüstung, sondern schlicht um Einschaltquoten ging. Die Diskussion über die ambivalente Rolle der Medien greift der Regisseur jedoch nur auf, um eine (vielleicht zu) eindeutige Antwort auf die daran geknüpfte Frage nach der Verantwortung und dem Handlungsspielraum jedes einzelnen zu geben. Selbst ein abgebrühter Kriegsreporter wie Flynn (gespielt von Woody Harrelson) gerät hier in Gewissensnöte, als er mit Aufnahmen aus einem Konzentrationslager zurückkommt, deren Veröffentlichung unter Umständen gar nichts bewirken wird. Am konsequentesten reagiert die Hauptfigur Michael Henderson, aus deren Perspektive der Film erzählt wird. Unter Einsatz seines Lebens und gegen die herrschenden Gesetze nimmt er eine Elfjährige aus einem Waisenhaus in seine Heimat England mit und adoptiert später das Kind.
Eine Handlung entwickelt sich nicht selten krisenhaft, wenn im Kino Kinder auftauchen, zumal wenn ihr Erscheinen den Charakter eines moralischen Appells annimmt. Die Präsenz von Kindern in ihrer Eigenschaft als kollektiv akzeptierte Hoffnungsträger reduziert allerdings ein in Wirklichkeit sehr vielschichtiges Sujet leicht einseitig auf die Ebene des Emotionalen. Der 'naive Blick', den Winterbottom damit einführt, mag das relativ verhaltene Echo auf die Präsentation des Films im vergangenen Jahr in Cannes erklären. Der Gefahr, das komplexe Konfliktpotenzial des Geschehens zu Gunsten melodramatischer Effekte zu vernachlässigen, ist der Regisseur dennoch nicht erlegen; er begegnet ihr mit einem betont spröden und streckenweise fast sperrigen Stil. So gerät ihm die Rettung des Mädchens in keinem Moment zu einer heroischen Aktion, durch die sich alle Wunden heilen ließen. Vielmehr wird ihre Mutter wiedergefunden, als sich das Kind bereits in England eingewöhnt hat. Diese stimmt einer Adoption des einzigen ihr verbliebenen Menschen erst nach langem Zögern zu. Es gehört zu den Stärken des Films, in einer verhältnismäßig kurzen Szene und auf ganz und gar unpathetische Weise spürbar zu machen, wie schmerzhaft eine solche Entscheidung sein muss. Bezeichnenderweise konzentriert sich Winterbottom ohnehin weniger auf einzelne Figuren, als auf das zermürbende Spannungsfeld zwischen professionellem Alltag und persönlicher Anteilnahme, in dem sich die Berichterstatter zunehmend bewegen. Die oft hektisch über die Schauplätze irrende Kamera vermittelt, unterstützt von einem hochmotivierten Darsteller-Ensemble, eine manchmal geradezu beklemmend authentische Atmosphäre. Das eingefügte Dokumentarmaterial gibt dem ethischen Selbstverständnis, aus dem Winterbottom seine weit über Sarajevo hinausweisende Geschichte entwickelt, genügend Nahrung – und hinterlässt zugleich genügend Ernüchterung darüber, was von dieser Botschaft jemals verwirklicht werden mag.
Autor/in: Tamara Dotterweich, 01.06.1998