Kinofilmgeschichte
Kinofilmgeschichte VIII: Feuertaufen und Stahlgewitter - Der Kriegsfilm
"The film to end all wars!" Diese Formulierung der US-Zeitung "The New Yorker" wurde schnell zum Reklameslogan für Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan: der Film, um alle Kriege zu beenden. Tatsächlich hat ein Film noch keinen einzigen Krieg verhindert – und kein Krieg hat die Unterhaltungsproduktion der Kriegsfilmindustrie zum Stehen gebracht. Diese Industrie arbeitet seit den Kindertagen des Mediums. Der womöglich erste Kriegsfilm wird aus dem Jahr 1898 überliefert: Der Deserteur, eine englische Produktion. Ein anderes frühes Beispiel ist Ein Reservist – vor und nach dem Krieg von J. Williamson (USA 1903), der vorführt, wie der Kriegsdienst einen Mann aus der Lebensbahn wirft. In beiden Filmen wird der Krieg geächtet.
In dieser frühen Phase hatte das Medium den Krieg noch nicht zu einem Genre gemacht, d. h. zu einem Geschehen, das nach bestimmten Regeln abläuft. Es war David W. Griffith, der 1915 mit Birth of a Nation, dem ersten großen Kriegsfilm (über den amerikanischen Bürgerkrieg), die Spielregeln für dieses Genre aufstellte. Wie Griffith geht es auch Spielberg darum, die Totalität des Krieges für den Zuschauer überschaubar zu machen, die Anonymität einer Front in Einzelschicksale aufzugliedern und ein eindeutiges Freund-Feind-Schema herzustellen (Freund = Identifikationsfigur/Kamerastandpunkt; Feind = gesichtslos oder grausam, meist nicht im Bild). Im Ersten Weltkrieg wurden diese neu entwickelten filmischen Erzählmuster sofort zu Propagandazwecken eingesetzt, für die sich auch Charlie Chaplin mit Shoulder Arms/Gewehr über! (USA 1918) engagierte.
An dieser Genese des Kriegsfilms als Genre wird deutlich, warum es der Traumfabrik so schwer fällt, "Antikriegsfilme" herzustellen. Bilder machen vertraut – in diesem Fall mit der menschenverachtenden und lebensbedrohlichen Situation in der Schlacht. In schlechten Kriegsfilmen erscheint sie als Abenteuerspielplatz, in besseren wird dem Zuschauer die Grausamkeit des Kampfgeschehens deutlich gemacht, ohne diesem Geschehen patriotischen oder gar humanen Sinn zuzusprechen. Die Schockerfahrung des Ersten Weltkriegs hat sich nach 1918 in einer ganzen Reihe kriegsskeptischer Filme niedergeschlagen. Die bekanntesten sind Im Westen nichts Neues von Lewis Milestone (USA 1930) und Westfront 1918 von G.W. Pabst (Deutschland 1930).
Zehn Jahre später ist die Stimmung allerdings wieder umgeschlagen. Kriegsfilme werden allein zu Propagandazwecken gedreht. In Deutschland zum Beispiel Eduard von Borsodys Wunschkonzert (1940) zur Einstimmung in Fronthumor und Heldentod, oder Alfred Weidenmanns Junge Adler (1944) zur Werbung für die Luftwaffe. In den USA stimmt Howard Hawks 1941 mit Sergeant York in den bevorstehenden Krieg ein, und Irving Pichel glorifiziert in Glückliches Land 1943 heroisches Sterben. In der Sowjetunion erfüllen Friedrich Ermlers Sie verteidigt ihre Heimat (1943) oder Mark Donskois Regenbogen (1944) ähnliche Aufgaben.
Kriegsfilme werden jedoch nicht allein zur Anstachelung des Willens zum Krieg gedreht. Im Rückblick tragen sie dazu bei, die Traumatisierungen durch Kriege zu bewältigen, indem sie Frontereignisse nicht nur als notwendig und sinnvoll für "Volk und Vaterland" nachinszenieren, sondern auch für das einzelne Individuum. Der Krieg erscheint als Feuertaufe und Bewährungsprobe, der Tod wird sentimentalisiert und der Trauer dadurch ein Aspekt von ästhetischer Geniessbarkeit verliehen. Alle Nationen haben nach dem Zweiten Weltkrieg solche Filme gedreht. Die USA z. B. Verdammt in alle Ewigkeit von Fred Zinnemann (1953) oder Feuertaufe von Richard Fleischer (1956), die UdSSR Wenn die Kraniche ziehen von Michail Kalatosow (1957) oder Ballade vom Soldaten von Grigori Tschurai (1959), die Bundesrepublik Deutschland Der Stern von Afrika von Alfred Weidenmann (1956) und auch noch Stalingrad von Joseph Vilsmaier (1991).
Am deutlichsten lassen sich die Rollenspiele des Kriegsfilms an Hollywoods Umgang mit Vietnam beschreiben. 1967 legte John Wayne mit Die grünen Teufel einen eindeutigen Propagandafilm für den Einsatz der US-Army vor. 1969 attackierte Robert Altman mit M*A*S*H und 1970 Ralph Nelson mit dem Indianer-Massaker-Film Das Wiegenlied vom Totschlag diesen Einsatz auf metaphorische Weise. Am Ende der 70er Jahren folgten die großen symbolischen Kriegsschuld-Bewältigungfilme wie Michael Ciminos Die durch die Hölle gehen (1978) und Francis Ford Coppolas Apocalypse Now (1979). Dann begann die allmähliche Revision der Kriegskritik bzw. sogar die Verklärung des Krieges in Streifen wie Rambo II von Ted Kotcheff (1982), Good Morning, Vietnam von Berry Levinson (1987) oder Der steinerne Garten von Francis Ford Coppola (1987). Bereits 1985 wurde mit Tony Scotts Top Gun in den USA wieder ein Film gedreht, der junge Männer für den Einsatz in der Luftwaffe warb. Kurz darauf wurde die Air Force zur entscheidenden Waffengattung im Golfkrieg. Die Wirklichkeit hatte den Kriegsfilm erneut eingeholt.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 11.12.2006