... über die Kostbarkeit des Lebens
Der Film Das Leben ist schön hat kontroverse Diskussionen und Spekulationen über seine Wirkung ausgelöst und Fragen nach seinen Einsatzmöglichkeiten in der politischen Bildungsarbeit aufgeworfen. Er setzt in jedem Fall Kenntnisse über den italienischen Faschismus, den Nationalsozialismus, die Vernichtungslager und das Ende des Zweiten Weltkriegs voraus. Er provoziert Vorwissen und Bildgedächtnis der Zuschauer durch zitathafte filmische Passagen und erlaubt sich deshalb auch viele zeichenhafte Abkürzungen. Das KZ in diesem Film ist einerseits das Todes-KZ schlechthin. (Das Eingangstor ist z. B. eine Nachbildung des berühmten Torturms von Auschwitz: Die Selektion an der Eisenbahnrampe und einige andere Szenen rufen Erinnerungen an Filmdokumente und filmische Rekonstruktionen ab.) Andererseits ist dieses KZ vom Autor aus dramaturgischer Absicht in das von Wehrmacht und SS besetzte Italien der letzten Kriegsjahre verlegt, weil sich nur so das für einige Schlüsselszenen wichtige Wechselspiel mit der deutsch-italienischen Sprachbarriere zwischen den Häftlingen und den Wachmannschaften inszenieren ließ. Es geht in dem Film also nicht um eine analytische Dokumentation der faschistisch-nationalsozialistischen Judenverfolgung in Italien. Das Vernichtungslager dient dazu, eine filmische Parabel über die Kostbarkeit des Lebens und der Liebe mit der denkbar härtesten Probe auf gelebte Überzeugungen zu erzählen. Ihre Grundaussage lautet: Leben und Liebe sind schön, auch das Leben, das man für einen geliebten Menschen aufs Spiel setzt.
"Mein Film ist auf gar keinen Fall ein historisches Dokument. Vielmehr ist er wie eine Kindergeschichte mit dem Lager als eine Art platonischen Bildes vom Ort des Bösen oder des Monsters. Auf ähnliche Weise ist meine Figur des Guido ein Antifaschist, nicht so sehr im philosophischen, als vielmehr im physischen Sinne. Sie wie ich mich verhalte, ist einem klar, dass ich kein Faschist sein kann, weil meine Augenbrauen, meine Zähne und mein Bauch das Gegenteil beweisen." (Roberto Benigni)
Der Film hat nicht die Absicht, einen narrativen Geschichtsunterricht zu bieten. Der erste Teil, der in der bürgerlich-kleinstädtischen Welt im faschistischen Italien der 30er Jahre spielt, gibt dem Zuschauer Gelegenheit, sich in die vom Autor intendierte Dialektik zwischen Spiel und Wirklichkeit einzufühlen. Die Welt des Todeslagers im zweiten Teil ist zu Gunsten der Handlungsentwicklung dramaturgisch verkürzt. Rohe Gewalt wird nicht gezeigt, sie ist aber in Zeichen, Gesten, Worten und KZ-Ritualen ständig präsent. Die Welt des Holocaust wird nicht verfälscht, sie ist in allen Passagen des Films eine unerbittliche Todesdrohung. Die Tatsache, dass die Hauptfigur hier ihre komische, wortreiche Verstellungskunst im Angstschweiß und in ergreifender Sorge um das geliebte Kind ausspielt, stellt auch keine grundsätzliche Verzerrung dar. Man kann jedoch einwenden, dass der Film dieser Figur so viel Platz einräumt, dass die Mitgefangenen und ihr Schicksal blasse Statisterie bleiben.
"Was ist bewegender als eine Liebesgeschichte mit einem Kind? Ausgangspunkt ist das Prinzip, Traumata von Kindern fernzuhalten, die Reinheit zu schützen. Das ist das älteste, tiefste und größte Gefühl, das Männer haben können. Aber da ist auch die Tatsache, dass Kinder wissen müssen, was vorgeht – und in meinem Film ist es, wie in einem Märchen, als ob das Kind durch meinen Blick lebt. Wenn ich sterbe, ist es so, als wüsste es alles." (Roberto Benigni)
Der Film gehört nicht mehr in die erste Phase der (filmischen) Auseinandersetzung mit dem Holocaust, setzt diese aber voraus. Sie begann 1956 mit dem französischen Film Nacht und Nebel von Alain Resnais, wurde 1960 mit Erwin Leisers Mein Kampf fortgeführt und war bestimmt von der Frage, was geschehen ist, wie es geschehen konnte, wo Ursachen und Schuld zu suchen sind, und wie verhindert werden kann, dass so etwas jemals wieder geschieht. Diese Phase ist nie abgeschlossen, sie muss im gesellschaftlichen Alltag wie im Bildungsprozess ständig tradiert werden und ist in letzter Zeit aktuell geblieben in der Diskussion um ein zentrales Holocaust-Museum in Deutschland. Der hier zur Diskussion stehende Film bezieht diese Phase mit filmischen Mitteln ein. Das beginnt mit Anklängen an das Schicksal des kleinen jüdischen Friseurs in Chaplins Der große Diktator und setzt sich fort mit filmischen Zitaten nach dokumentarischen Vorlagen über die berüchtigten Eisenbahntransporte und die Selektionen nach Ankunft an der Rampe. Medizinische Tests und die als Duschen getarnten Gaskammern sind auch hier filmisch erwähnt. Der Charakter des Todeslagers bleibt im Filmverlauf präsent, aber dem Autor geht es um eine weiterführende Sinnfrage.
"Ich wollte mit Guido eine Figur schaffen, die völlig integriert ist in die italienische Gesellschaft, ihr Leben lebt, die Arbeit macht, sich nicht im Geringsten für Politik interessiert und dann, mit einem Schlag, ist das Leben dieser Person vorbei. Genauso ist es tatsächlich den Menschen damals passiert. Mit Guidos Familie kann sich jeder identifizieren, sie ist glücklich und liebenswert. Und plötzlich wird sie, ohne etwas falsch gemacht zu haben, ohne ersichtlichen Grund in ein grausames Schicksal gestürzt." (Roberto Benigni)
Die zweite Phase der Aufarbeitung ist geprägt von der Frage nach dem Lebensgefühl der Überlebenden, der verschont Gebliebenen und Nachgeborenen. Hier setzt der Film an. Die Kampfparole der mörderischen Fanatiker ist die Tötung des "lebensunwerten" Lebens. Das Tötungsverbot, die Forderung nach grundsätzlicher Unverletzlichkeit menschlichen Lebens, ist die menschenrechtliche Antwort auf jede Art mörderischer Anmaßung. Aber das Gefühl für den Wert des menschlichen Lebens, des eigenen und des der anderen, bedarf auch einer inhaltlichen, einer erlebbaren Erfüllung und Sinnerfahrung. Leben ist die Chance, Glück und Liebe zu erfahren. Wer um sein Leben kämpft, dem geht es auch um diese Chancen. Daran zu erinnern ist Absicht und Verdienst dieses Filmes und bleibt bedenkenswert für alle Bildungsarbeit – selbst wenn man es ablehnen sollte, diesen Film einzusetzen, der gerade jenes Wissen voraussetzt, das erst vermittelt werden muss. Einstieg für die Diskussion "danach" bietet er allemal.
"Wer sagt, dass diese Schrecken nur in der Nazizeit passiert sind? Sie können jederzeit wieder geschehen. In Bosnien zum Beispiel. Man muss beobachten, welches Gesicht heute das annimmt, was man früher Nazismus genannt hat." (Roberto Benigni)
Autor/in: Hans Friedrich, 11.12.2006