Jean, der Familienvater, kommt nach Hause. Die Kamera verharrt vor dem Eingang des Landhauses in starrer Einstellung, nur der Ton verrät die Vorgänge hinter den Fassaden: Nach einem Happy-Birthday-Ständchen ertönen mehrere Schüsse, dann herrscht Totenstille – Jean hat offenbar seine Familie erschossen. Rückblende, einige Monate zuvor: Ein scheinbar normales Familienleben, alles geht seinen gewohnten Gang, nichts mutet ungewöhnlich an. Bis Jean eines Tages eine Ratte mitbringt und Sohn Nicolas mit einer ersten Hiobsbotschaft beim gemeinsamen Abendessen herausrückt – er sei homosexuell! Für die Mutter Hélène ein Schock, Jean nimmt es gelassen wie alles um ihn herum. Kurz darauf stürzt sich Tochter Sophie aus dem Fenster, doch ihr Suizidversuch schlägt fehl. Gelähmt ist sie nun an den Rollstuhl gefesselt und erprobt ihre sadomasochistischen Gelüste an Freund David. Während Nicolas seine schwulen Freunde inzwischen gar ins elterliche Haus bestellt, Sophie weiterhin David knechtet und Maria, die Haushälterin, ihrem Mann Abdu untreu wird, verändern sich auch die Eltern: Jean zieht sich gänzlich zurück, bleibt stoisch in sich gekehrt und nimmt von den immer abstruser werdenden Entwicklungen im Haus keinerlei Notiz. Hélène wiederum beginnt, an der Situation innerlich zu zerbrechen, ihr Verlangen nach Zuneigung und körperlicher Liebe sowie ihr Wunsch zu helfen, lässt sie schließlich mit Sohn Nicolas ins Bett gehen. Während die ominöse Ratte die Hausbewohner immer mehr in ihren Bann zieht, ist das totale Chaos längst irreversibel geworden, bis Vater Jean sich eines Abends entschließt, das in der Mikrowelle gegarte Ungetüm zu verspeisen ...
Sitcom markiert das fulminante, äußerst intelligente und vielschichtige Langfilmdebüt des erst 32-jährigen französischen Regisseurs und Drehbuchautors François Ozon, der an der Filmhochschule FEMIS studierte. Sein Film ist weit mehr als eine bitterböse, schwarze Komödie. Formal fällt zunächst auf, dass sich Ozon nahezu ausschließlich auf die vier Wände des Familienhauses beschränkt und damit den sozial-seelischen Untergang der Personen von Anfang an räumlich begrenzt. Jedes Zimmer dieses eigentlich weitläufigen Hauses steht für eine Haltung, für ein Denken, für eine persönliche Lebensart. Das elterliche Schlafzimmer, in dem Hélène einsam neben ihrem indifferenten Mann liegt, steht geradezu kontrapunktisch zu den gegenüberliegenden Zimmern der beiden Kinder: Links der Treppe wohnt Sophie, die den Sadomasochismus als skurilen Ausweg aus einer einengenden Familiensituation wählt, dabei aber auch nicht glücklich wird. Rechts befindet sich das Zimmer von Nicolas, der sich seit seinem Bekenntnis zur Homosexualität vom introvertierten, wortkargen Jungen zum extrovertierten, positiv denkenden Mann entwickelt hat. Ein Austausch zwischen den beiden grundverschiedenen Lebensweisen der Kinder findet aber nicht statt, jeder lebt in seiner ureigenen Welt, und auch die Kommunikationskanäle zu den Eltern sind verschieden. Die Außenwelt bleibt von der familiären Katastrophe nahezu unberührt. Ozon hält das Brennglas gezielt auf den Mikrokosmos der Bourgeoisie und erlaubt sich hierbei, eine Ratte als kathartisches Moment einzusetzen. Ihm gelingt es dabei hervorragend, hinter den äußeren Bewegungsabläufen die innere Konstitution der Charaktere zu reflektieren, mittels subtil-grotesker Dialoge und durch eine schlichtweg absurde Situationskomik, die oftmals in Tragik umkippt. Das Glück ist inzwischen längst geschwunden, ob nun vor oder hinter den maroden Fassaden.
Autor/in: Thilo Wydra, 01.02.1999