Edward Zwicks
Ausnahmezustand ist das ideale Muster für eine Doppelstrategie aus Realismus und Genre-Verbundeneheit, mit der das amerikanische Kino auf eine neue Herausforderung, auf die reale Bedrohung durch Terrorismus im eigenen Land reagiert. Zunächst versucht der Film Bilder zu finden, die von dieser Erfahrung zur Fiktion überleiten und die veränderte Situation wiedergeben. Er erklärt uns, was 'Globalisierung' auch bedeuten mag: Nach Fernsehbildern von der zerstörten amerikanischen Botschaft in Tansania folgen Bilder eines Überwachungssatelliten, der eine Limousine bei der Fahrt durch die Wüste beobachtet. Plötzlich wird das Gefährt gestoppt, und sein Insasse, ein Drahtzieher des islamisch-fundamentalistischen Terrors, wird entführt. Kurz darauf beginnt in Brooklyn eine Serie von Anschlägen mit dem Ziel, den Gekidnappten freizupressen. Eine durchaus realistische Einführung in ein Szenario, das uns zwar Schurken serviert, aber nicht unbedingt ein 'Feindbild'. Wenn wir zum Beispiel am Beginn ein Minarett mit einem Muezzin sehen und erst durch die Kamerafahrt klar wird, dass sich diese Szenerie nicht in Bagdad oder Teheran, sondern mitten in New York befindet, dann erzählt gerade dieses Bild weniger von Xenophobie als von Integration. Es ist, als sei es eine Aufgabe dieses Films, den amerikanischen Traum vom friedlichen und kreativen Nebeneinander der Kulturen und Religionen zu beschützen.
Dafür bedarf es der Helden, auf den Plan gerufen durch die Detonation einer Bombe in einem vollbesetzten Autobus. Da sind zunächst der FBI-Beamte Hubbard und sein arabo-amerikanischer Kollege Frank Haddad, die bald Unterstützung durch die Undercover-Agentin Elise Kraft vom CIA erhalten. Die Agenten scheinen Erfolg zu haben, doch als kurz darauf eine weitere Bombe in einem Theater detoniert, weiß Hubbard, dass dem Drachen neue Köpfe gewachsen sind. Schließlich fliegt sogar das FBI-Hauptquartier in die Luft, und nun sieht der Präsident der Vereinigten Staaten keinen anderen Ausweg mehr, als über Brooklyn das Kriegsrecht zu verhängen. General William Devereaux setzt sogleich alle Bürgerrechte außer Kraft, lässt alle Arabo-Amerikaner kurzerhand in einem Basketball-Stadion internieren und verbreitet Terror und Folter. Nur Hubbard arbeitet unbeirrbar und im Dreifrontenkrieg gegen Terroristen, CIA und Militär weiter daran, die Schuldigen mit wenn nicht legalen, so doch moderaten Mitteln zur Strecke zu bringen. Als es ihm am Ende gelingt, ist von den Problemen, die in ihrer Vielschichtigkeit immerhin angedeutet wurden, tatsächlich nur das Genre geblieben.
Zu diesen Problemen gehört nicht nur ein international 'produzierter' Terrorismus, der durch Gegengewalt nur verlagert und beschleunigt, nie aber bezwungen werden kann, solange es nicht gelingt, zu seinen sozialen Ursachen vorzudringen, sondern auch ein Staat, der schnell selbst zu der Gefahr werden kann, vor der er seine Bürger zu schützen sucht. Gerade in seiner Schilderung der Überwachungsmethoden bleibt der Film skeptisch, schwankend zwischen Faszination und doch eher Kritik. Der Terrorismus stellt die Nation doppelt in Frage, einmal als demokratischen und zivilen Rechtsstaat, aber auch in seiner kulturellen und ethnischen Vielfalt. Beide Gefahren wehrt
Ausnahmezustand gleichsam in Gestalt seiner Helden ab, die gerade die Zusammenarbeit unter verschiedenen ethnischen Gruppen zu ihrer Stärke machen. So ist der Film zugleich ein Thriller, der mit urbanen Ängsten spielt (und dabei seine stärksten Bilder findet), eine Untersuchung von Gewalt und Gegengewalt in der terroristischen und 'antiterroristischen' Vernetzung, und eine Übung in politischer Korrektheit, hier ohne sarkastischen Unterton gemeint. Am Ende freilich sind es nur diese individuellen Helden, die das Problem für sich lösen, und es damit eben ungelöst lassen. Wie in manchen Edelwestern der 50er Jahre sind gute und schlechte Charaktere auf alle Seiten gleichermaßen verteilt und die Helden genau in die Mitte zwischen den Fronten platziert, in denen (fast) jeder die anderen für eigene Zwecke missbraucht.
Das Genre indes erzählt nicht nur an der Oberfläche, sondern auch in seiner mythischen Tiefenstruktur. Und dabei geht es nicht so sehr um 'ideologische' Stereotypen, nicht um rassistische Denunziation, wohl aber um eine Struktur des Ausgrenzens und Eindringens, eine Hierarchie des 'Eigenen' und des 'Fremden'. Die Erzählung des Genres setzt sich im Unterbewusstsein fort, steuert Emotionen und Abwehrreaktionen. Am Ende hat der Film den Terrorismus nicht 'erklärt', sondern zu einem eigenartig selbstreflexiven Mysterium hinwegfantasiert. Er ist Produkt der Angst und Paranoia, auf eine weniger politische als psychotische Weise 'selbstgemacht', eine Waffe, die sich wie ein Bumerang zu der Gesellschaft verhält, die sie für ihre Zwecke benutzen will. Wenn dieser Film dennoch vermag, neben gekonnter Unterhaltung auch Reflexion und Diskussion in Gang zu setzen, dann ist er schon einen Schritt weiter als jenes Blockbuster-Kino, in dem Probleme so gründlich zum Genre werden, dass sie nicht mehr zu erkennen sind.
Autor/in: Georg Seeßlen, 01.04.1999