Mit Moped und Anhänger steuert Benjamin Levi das einsam gelegene Dorf im Schwarzwald an. Der jüdische Vieh- und Einzelhändler will diesmal nicht nur Geschäfte machen – er hofft auch darauf, mit Lisbeth, der Tochter vom Horger-Hof, einig zu werden. Dass Lisbeth ihn nimmt, steht für ihn kaum in Zweifel: "Ich hab keine Feinde, bin ein geachteter Mann, mein Wort gilt". Die aus Berlin entsandten, nationalsozialistischen Bahnarbeiter im Ort unter Leitung von Eisenbahningenieur Kohler sorgen allerdings dafür, dass sich alles umkehrt. Kohler wird zunächst skeptisch empfangen, doch als Repräsentant der staatlichen Eisenbahn und der neuen Macht in Berlin steht er für Fortschritt und wirtschaftliche Prosperität und gewinnt rasch an Einfluss. Langsam kommt der Prozess der Ausgrenzung Levis in Gang, ein bisher durchaus respektierter Fremder wird zum Feindbild. Zum Schluss muss Levi fliehen und verdankt Lisbeth, die eine lynchlüsterne Meute mit der Pistole in Schach hält, dass er mit dem Leben davonkommt.
Was in der Zusammenfassung wie eine klassische Tragödie anmutet, kommt erfrischend unprätentiös und leicht daher. Behutsam entwickelt Regisseur und Ko-Autor des Drehbuchs Didi Danquart seine Figuren, belässt ihnen einen eigenwilligen Charme und baut auch witzige Momente ein. Bedrohliche Situationen werden zunächst aufgelöst, bis sie kumulieren und doch eskalieren. Eine Stärke des Films ist die Vielschichtigkeit seiner Protagonisten: Lisbeth ist in ihren Gefühlen nicht nur auf Levi bezogen, sondern findet auch den klavierspielenden Paul interessant. Ihr Vater Andreas Horger fürchtet die gesellschaftliche Ächtung auf Grund der Liaison seiner Tochter mit Levi, tritt dann doch, gedrängt von Lisbeth, für ihn ein, als er von den Arbeitern in die Zange genommen wird – nur um kurz darauf empört den Vorwurf von sich zu weisen, er sei wohl selbst ein "Jud". "Der da ist an allem schuld – mit dem will ich nichts zu tun haben!", schreit er in seiner Angst. Keine Figur in diesem Film, mit Ausnahme vielleicht von Ingenieur Kohler, ist in ihrer Entwicklung vorherzusehen. Danquart gelingt es, seine politische "Story" mit den individuellen Sehnsüchten seiner Protagonisten zu verknüpfen. Immer wieder laufen die verschiedenen Handlungsfäden bei Lisbeth zusammen: Levi und der arbeitslose, aus der Stadt kommende Paul konkurrieren um sie und ihr Vater fürchtet um seine bescheidenen Geschäfte mit dem Ingenieur, je mehr Levis' Zuneigung zu Lisbeth offenbar wird. Der Wirt des Gasthauses Zum Bären ist auf die gut zahlenden Gäste angewiesen und schreitet nicht ein, als es zum finalen Show-Down kommt.
"Mich interessiert ... eine Neuinterpretation des Vergangenen in frischen Bildern, frischer Sprache und Haltung. Ein Film heute muss also aus den alten Denkmustern von Gut und Böse, Unschuld und Schuld ausbrechen." (Didi Danquart)
Danquart, Jahrgang 1955, realisierte zunächst Videos zu aktuellen politischen Themen im Kollektiv der Medienwerkstatt Freiburg. Es folgten Dokumentarfilme in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fernsehsendern, schließlich erste Spielfilmprojekte, unter anderem mit dem Autor der Bühnenvorlage von
Viehjud Levi, Thomas Strittmatter. Mit seinem neuen Film wagt Danquart einen anderen Blick auf die Zeit des erstarkenden Nationalsozialismus der 30er Jahre. Danquart geht es um die Schilderung von persönlichen Entwicklungen in einer historischen Epoche, um das Geflecht von persönlichen Abhängigkeiten und Zwängen, die für den einzelnen nicht ohne Weiteres zu durchschauen, geschweige denn zu durchbrechen sind. Dass gerade in den ersten Jahren des "Dritten Reiches" so viele schwiegen, wenn Menschen ausgegrenzt und misshandelt wurden, wird dadurch nicht entschuldigt. Filme wie
Viehjud Levi verweisen, bei allem Verständnis auch für die Motive der "Mitläufer", dass es immer auch die Chance auf Gegenwehr gab – wenn auch mit hohem persönlichen Risiko. Johann Feindts Kamera lässt den Personen ihren Raum, lange Einstellungen betonen den ruhigen Rhythmus des Films, unterstützt von einer Musik, die folkloristische Elemente aufnimmt, ohne volkstümelnd zu sein. Den Begriff "Heimatfilm" lässt Danquart für seinen Film gelten, versteht man ihn als eine Charakterisierung für einen Film, der die besonderen Gegebenheiten einer Region in einer historischen Epoche sorgfältig berücksichtigt. Danquart kommt selbst aus dem Schwarzwald, verfällt aber nicht der Versuchung, das in der eigenen Jugendzeit als eng und dumpf empfundene Leben der Provinz unter dem Vorwand einer historischen Darstellung zu denunzieren. In den verschlossenen Gesichtern seiner Protagonisten ist die Angst zu spüren – die Not derjenigen, die hart für ihr bisschen Geld arbeiten müssen und nun um ihre Existenz fürchten. Fast scheint es, als hätte der frühere politische Aktivist seinen Frieden mit der Generation der Väter und Großväter gemacht.
Viehjud Levi ist ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über die Bedingungen, Unrecht entgegenzutreten – und die Risiken des Scheiterns, wenn man den Mut dazu nicht aufbringt. In einer Zeit, in der wieder Fremdenfeindlichkeit um sich greift, ist Danquart mit einem historischen Stoff ein überraschend aktueller Film gelungen.
Autor/in: Eckart Lottmann, 09.08.1999