Es sei unglaublich, sagt Dominik Reding, einer der beiden Regisseure von
Oi! Warning. Fünf Jahre lang hätten er und sein Bruder Benjamin diesen Film vorbereitet. In dieser Zeit hätte sich niemand um den Rechtsradikalismus in Deutschland gekümmert. Dabei seien Unschuldige doch genauso von Skins gehetzt und umgebracht worden. Jetzt, nachdem das Problem endlich diskutiert wird, nachdem der Film auf zahlreichen internationalen Festivals herumreiste, viele Preise erhielt und sogar in der wichtigen amerikanischen Filmzeitschrift "Variety" umfangreich gewürdigt wurde, jetzt kommt
Oi! Warning auch in deutsche Kinos.
Die Gesellschaft nervt
Er wird also von der Diskussion um Neonazis mit geschorenen Köpfen vereinnahmt werden. Doch die Skinheads, von denen der Film handelt, sind nicht politisch motiviert. Der Film analysiert nicht das Abdriften einer Jugendbewegung – Skins gibt es immerhin seit 1969 – in dumpfe, nationalistisch instrumentalisierte Träume. Der Skin Koma plant keine Rückkehr eines reinrassigen Deutschen Reiches ohne Ausländer und geistig Behinderte. Noch weniger denkt sein Freund Janosch, die Zentralfigur des Films, an solche Ziele. Die beiden steigen aus, weil sie der Mief der kleinbürgerlichen Gesellschaft nervt. Eigentlich ist es völlig egal, welche Maske des Radikalismus sie überziehen. Sie haben nur das Gefühl: Nicht weiter so!
Wenn die Eltern schnarchen
Nicht weiter wie? Dominik und Benjamin Reding zeigen die Normalität, die von den Jungs verabscheut wird, nie realistisch, sondern immer zur Karikatur verdichtet. Das ist ein Problem von
Oi! Warning. Die Mutter von Janosch traktiert den Sohn in ihrem gelackten Wohlstandshaus mit schwäbischen Worttiraden. Kurzfristig verliebt sich Janosch in die Gymnasiastin Blanca. Deren soziales Umfeld wird durch eine prägnante Szene gekennzeichnet: Die Kamera schaut aus der Perspektive eines Fernsehgeräts, aus dem ein Tenniskommentar tönt, auf das Wohnzimmersofa. Darauf sitzt Blanca zwischen ihren schnarchenden Eltern. Über den Köpfen hängt Kaufhauskunst an der Wand: das Blumenstilleben, die schöne Exotin. In einer anderen Szene werden vor dem laufenden Fernseher fette Schweineteile verzehrt. Das ist eklig, suggerieren die Bilder. Dagegen protestieren die Jugendlichen mit ihrem Einstieg in die Verweigerungshaltung der Skins. Doch wie überzeugend ist ein Protest gegen Karikaturen?
Party und Prügel
Die Gegenwelt der Skins wird auch nicht realistischer skizziert. Sie bleibt so vage, wie sie vielleicht viele selbst empfinden, die drin stecken. Ein Männerbund, der sich über Körperlichkeit und Bierflaschen definiert. Thai-Boxen ist die beliebte Sportart. Am Wochenende will man Party und Prügelei. Dazu hört man die röhrende Oi-Musik von Gruppen, die ihre Texte inzwischen faschistisch radikalisiert haben. Das war‘s auch schon.
Oi! Warning zeigt immerhin, dass auch diese Menschen nicht ohne romantische Träume sind. Sie haben zum Beispiel Fluchtburgen in Industrieruinen. Koma kriegt Zwillinge – leider nur Mädchen, wie er sagt.
Wie Gewalt entsteht
Dennoch: Aus dieser vage gehaltenen Szene heraus gibt der Film Informationen darüber, wie Gewalt entsteht, wie man damit umgeht und wie man darin umkommt. Vor einem Bahnhof wird ein Mann (auch eine dieser Kleinbürgerkarikaturen) grundlos von Koma zusammengeschlagen. Um ihn herum steht ein Pulk von Jugendlichen, die das amüsiert. Janosch – zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die Skin-Szene integriert – lässt sich den Appetit auf Kartoffelpuffer durch die Brutalität nicht verderben. Aus diesen Bildern spricht jene Atmosphäre von Gewissenlosigkeit und sozialer Kälte, in der sich Gewalt entfalten kann, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.
Der Kuss und die Handgranate
Schon die Einleitungssequenz zu
Oi!Warning zeigt die Nähe der Ausstiegsträume zur Gewalt. Im Wald posiert Koma nackt vor seiner Freundin. Als sie sich dann küssen, zündet er eine Handgranate. Die explodierenden Bilder symbolisieren einen Traum von Janosch. Die Regisseure Dominik und Benjamin Reding erzählen die Geschichte in ihrem Debütfilm zwar weitgehend linear. Doch schon die Wahl der Farben Schwarz und Weiß deutet ihren Kunstwillen an. Sie irritieren den Zuschauer immer wieder mit Schnittfolgen, die Ereignisse vorweg nehmen oder parallel setzen. Dabei schrecken sich auch vor Polemik nicht zurück. Janosch lernt den "Punk" Zottel kennen. Er wird zur positiven Gegenfigur des brutalen Koma aufgebaut, zum Beispiel durch eine Parallelmontage, die Koma beim Boxkampf und Zottel beim friedlichen Jonglieren zeigt.
Fanal der Flammen
Damit die Figuren authentisch erscheinen, wurde mit Laien oder wenig erfahrenen Darstellern gearbeitet. Und Authentizität stellt sich tatsächlich ein. Gefühle im Zuschauer werden nicht ausgelöst, sondern schon auf der Leinwand zeichenhaft konstruiert. Das Schlussbild ist dafür charakteristisch: eine Pieta, die schmerzhafte Mutter Jesu nach der Kreuzabnahme. Janosch hält einen Toten im Arm, während hinter ihm ein Wohnwagen als Fanal in Flammen steht. Rückfahrt der Kamera.
Oi! Warning ist kein einfacher Film. Er gibt erst recht keine einfachen Antworten auf die deutschen Nöte mit jugendlichem Rechtsradikalismus. Aber er verunsichert. Er wühlt Nachfragen auf und richtet die Augen auf Probleme, vor denen viele so gerne die Augen schließen möchten.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 01.10.2000