Hintergrund
"Kaputtbesitzer" und "Instandbesetzer"
Szene aus: "Was tun, wenn's brennt?"
Im Mai 1981 hat die Bewegung ihren Höhepunkt erreicht. Rund 170 Häuser in West-Berlin sind gleichzeitig besetzt. Von Studenten, Schülern, Arbeitslosen, Punks, "Müslis", Autonomen. Freiräume wollen sie erkämpfen, Staat und Spießertum lehnen sie ab, Spekulanten sind für sie der Inbegriff des hässlichen Kapitalisten. Anders zu Zeiten der politisierten 68er Studentenrevolte beherrschen nun Spontis die Szene: "High sein, frei sein – ein bisschen Terror muss dabei sein".
Häuserspekulanten ...
Ende der 70er Jahre stehen in West-Berlin Tausende von Häusern leer. Der Grund: Der Senat fördert den Neubau von Wohnhochhäusern, Flächensanierung und den Altbauabriss. Man will eine moderne Stadt bauen. Marode Altbauten sollen verschwinden. Erhaltenswerte Bausubstanz wird teuer renoviert und gegen gesalzene Preise an betuchte Interessenten vermietet. Hausbesitzer, Wohnungsbaugesellschaften, Spekulanten – jeder versucht an der Entwicklung zu profitieren. Ganze Häuserblocks werden "entmietet" und geräumt, stehen oft jahrelang leer, bis endlich eine Abrissgenehmigung erteilt wird. Mancher Besitzer hilft aktiv nach, lässt Leitungen aus den Wänden reißen, Kamine und Öfen zertrümmern, Fenster zumauern oder Wände einschlagen. "Kaputtbesitzen statt besetzen", kommentiert die Besetzerszene.
... Wohnungsnot ...
In der Stadt fehlt preiswerter Wohnraum. Die ZVS (Zentralstelle zur Vergabe der Studienplätze) sendet immer mehr westdeutsche Abiturienten zum Studieren nach Berlin – die Universitäten in der geteilten Stadt sind chronisch überbelegt. Schon immer war die Viermächtestadt wegen ihres besonderen Status unter jungen Männern beliebt, die weder Militär- noch Zivildienst ableisten wollen. West-Berlin wird zum Anziehungspunkt für junge Leute mit Widerspruchsgeist, Abenteuerlust und dem Sinn fürs Antibürgerliche.
... und Hausbesetzungen
Not macht kreativ: Als in Kreuzberg im Februar 1979 das erste Haus besetzt wird, folgen bald weitere nach. Die Bewegung wird zunächst geduldet, erst im Herbst 1980 kommt es zu ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Besetzern. Der Senat entscheidet sich für die Berliner "Linie der Vernunft". Ab Januar 1981 folgt die längste Serie von Besetzungen. Im Mai 1981 wählt Berlin einen neuen Senat. Die CDU gewinnt, Heinrich Lummer wird unter dem Regierenden Bürgermeister Richard von Weizsäcker neuer Innensenator.
Verhärtete Fronten
Lummer versucht es auf die harte Art. Der Kampf um die besetzten Häuser erreicht im September 1981 seinen Höhepunkt. Der Tod des 18-jährigen Klaus-Jürgen Rattay – er wird bei einer Hausbesetzer-Demonstration gegen einen Bus gedrängt und zu Tode geschleift – ist der Auslöser für wochenlange Straßenschlachten. Nicht nur in Berlin, auch in vielen westdeutschen Großstädten gehen Schaufensterscheiben zu Bruch.
Szene aus: "Was tun, wenn's brennt?"
Verträgliche (Vertrags-)Lösungen
Lange Zeit hält der Druck von außen die Szene zusammen. Doch die vielen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Taktik des Berliner Senats, mit den Wohngemeinschaften zu verhandeln, hat die Besetzer in zwei Fraktionen gespalten: Die einen wollen ihre Ruhe haben und ihre Häuser "instand besetzen" (die "Ikea-Regal-Fraktion"), die anderen führen den Kampf gegen das System weiter und nennen sich "Autonome". Ende 1984 haben die Bewohner von 77 Gebäuden langfristige Nutzungsverträge. Das letzte besetzte Haus, das Gebäude Pfarrstraße 104 in Lichtenberg, lässt Innensenator Jörg Schönbohm am 24.Februar 1998 räumen.
Autor/in: Volker Thomas, 21.09.2006