Hintergrund
Aids - im Film
Szene aus dem Film "Fickende Fische"
In Interviews betont Almut Getto, die Regisseurin des romantisch gefärbten Jugenddramas
Fickende Fische (Deutschland 2002) gerne, dass sie mit ihrem Spielfilmdebüt keinen Aids-Film gedreht habe, so als würde das dem Erfolg an der Kinokasse womöglich abträglich sein. Und solange man sich beispielsweise über den inhaltlich begründeten Titel ihres Filmes mehr ereifert, als über das angesprochene Problem und man mit didaktisch oft dröge aufbereiteten "Aufklärungsfilmen" das Publikum sogar abschreckt, hat sie nicht Unrecht. Längst zu einem globalen Problem von gigantischem Ausmaß mit Millionen von Toten geworden, gibt es bis heute vergleichsweise wenige Filme, die dieses Tabuthema aufgreifen (von reinen Video- und Fernsehproduktionen abgesehen) und nicht einmal eine Handvoll, in denen Kinder und Jugendliche im Mittelpunkt stehen. Dieser Personenkreis macht fernab gängiger Klischees und Vorurteile den Vereinten Nationen zufolge immerhin fast 20 % aller bisherigen Todesfälle weltweit aus.
Szene aus dem Film "Philadelphia"
To be (gay) or not to be
Der erste Verleiher, der in Deutschland den Mut fand, Filme mit dieser Thematik ins Programm zu nehmen, war Manfred Salzgeber, der 1994 selbst an den Folgen von Aids gestorben ist. Zehn Jahre zuvor hatte er sich für den Film Buddies (USA 1984) in Deutschland stark gemacht. Der Film von Arthur J. Bressan Jr. begleitet auf emotional bewegende Weise eine Gruppe von HIV-Infizierten und zeigt auf, wie sehr das Bild der Bevölkerung etwa vier Jahre nach dem ersten "offiziellen" Auftreten der Krankheit in San Francisco und ihrer Erwähnung in der New York Times 1980 noch von falschen Vorstellungen geleitet war. Diese sind bis heute nicht ganz verschwunden. Den Filmen zum Thema bis etwa 1990 ist gemeinsam, dass sie alle in den USA gedreht wurden und in homosexuellen Beziehungen spielen, wo die Krankheit zunächst ihre meisten Opfer forderte. Größere internationale Aufmerksamkeit unter diesen Werken fand Longtime Companion (USA 1990) von Norman René. Ein paar Freunde in New York glauben zunächst, der Virus könne ihnen nichts anhaben, bis einer nach dem anderen von ihnen erkrankt und stirbt. Roger Spottiswoode schließlich erzählt die Geschichte der Entdeckung von Aids noch einmal in Und das Leben geht weiter (USA 1993).
Ausgrenzung oder Toleranz
Aids-Kranke haben nicht nur mit ihrer Krankheit zu kämpfen, sondern sehen sich häufig auch gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Jonathan Demme hat in seinem Mainstream-Drama Philadelphia (USA 1993) publikumswirksam darauf hingewiesen. Einem aufstrebenden Anwalt wird aus fadenscheinigen Gründen gekündigt, weil er HIV-positiv und homosexuell ist. Vor Gericht will er sein Recht erstreiten, doch erst nach langem Zögern übernimmt ein früherer Konkurrent den Fall. Demmes Film bezieht klar Position für die Diskriminierten und zeigt deutlich die sozialen Folgen von Aids. Im gleichen Jahr inszenierte Mike Newell in Großbritannien die Komödie Vier Hochzeiten und ein Todesfall, in dem der von Aids Betroffene zwar stirbt, aber bis zu seinem Tod voll in die Gemeinschaft integriert ist, freilich auch deshalb, weil die meisten Freunde von seiner Erkrankung nichts wussten.
Szene aus dem Film "Ausgerechnet Zoé"
Sexualverhalten
Nachdem bekannt wurde, dass sich Aids keineswegs nur auf die klassischen Risikogruppen der Homosexuellen und Drogensüchtigen beschränkt, hat der Virus das Sexualverhalten vieler Menschen nachhaltig beeinflusst, wenn auch nicht immer in einer von Aufklärungskampagnen gewünschten Form. Gerade in Ländern der Dritten Welt steht das Bedürfnis sich wirksam zu schützen oft dem Kinderwunsch vor allem der Frauen entgegen. Auch in den westlichen Zivilisationen kommt es gerade in der Sexualität zu schweren Konflikten, wenn ein Partner wissentlich oder unwissentlich den Virus in sich trägt. Einen offensiv-provokativen Umgang mit diesem Konflikt stellt Cyrill Collard in Wilde Nächte (Frankreich 1992) dar, der von der FSK in Deutschland erst ab 18 Jahren freigegeben wurde, aber offen das neue Lebensgefühl der Jugend im Zeitalter von Aids (bzw. le Sida in Frankreich) reflektiert. Während die junge Protagonistin Zoé in Markus Imbodens Ausgerechnet Zoé (Schweiz/ Deutschland 1994) nach ihrem HIV-positiven Befund von Enthaltsamkeit zunächst nichts wissen möchte, entscheidet sich der schwule Jeffrey im gleichnamigen Film von Christopher Ashley (USA 1995) bewusst dafür, begegnet dann jedoch dem "Mann seines Lebens".
Vom Abschiednehmen und Sterben
Parallel zu den Gewissensentscheidungen im Umgang mit Sexualpartnern, die auf das Prinzip Hoffnung gegründet sind, setzen sich Filmemacher nun auch verstärkt mit dem Sterben als Folge der Krankheit auseinander. Inhaltlich und künstlerisch herausragend dafür steht Blue (Großbritannien 1993) von und mit dem bereits todkranken Derek Jarman, der darin seine Erfahrungen mit dem Virus und seine Assoziationen zur Farbe Blau (siehe hierzu im Vergleich Almut Gettos Film) mit dem Wunsch nach einem Tod in Würde verknüpft. Um ein würdiges Abschiednehmen – und sei es durch einen Selbstmord – von Freunden und Bekannten geht es in The Last Supper (Kanada 1994) von Cynthia Roberts und It's my Party (USA 1996) von Randal Kleiser. Jeanne et le garçon formidable von Olivier Ducastel und Jacques Martineau, der 1998 im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin lief, macht aus dieser schwierigen Thematik sogar ein Musical, was zum Teil auf Unverständnis beim Publikum stieß. Der Film verbindet die Erzählstränge des sexuellen Gewissenskonflikts und des Abschiednehmens mit einem neuen filmischen Prototyp, einem Aidskranken, der ohne Wissen und Beistand seiner Freundin sterben möchte.
Szene aus dem Film "Mississippi - Fluss der Hoffnung"
Kinder und Jugendliche
Nur selten wurde die Krankheit und ihre Folgen im Kinofilm aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen aufgegriffen. 1995 wagten sich gleich zwei amerikanische Filme an das heikle Thema und sie hätten unterschiedlicher nicht ausfallen können: Larry Clark zeichnet in Kids das sich besonders realistisch gebende und daher doppelt verlogene Bild einer verantwortungs- und skrupellosen (männlichen) Jugend, die junge Mädchen so früh und so oft wie möglich "flachlegen" möchte, und einer (weiblichen) Jugend, die reihenweise infiziert und damit zum ohnmächtig bleibenden, zweifachen Opfer wird. Womit Clark allerdings doch den Nerv vieler Jugendlichen getroffen hat, ist die mögliche Brüchigkeit von Freundschaft angesichts der "virulenten" Bedrohung. Ungleich sensibler und differenzierter geht Peter Horton mit dieser Thematik in Mississippi – Fluss der Hoffnung um, der die Abenteuer zweier jugendlicher Außenseiter erzählt, deren Freundschaft durch die Aidserkrankung des jüngeren 11-Jährigen sogar noch gefestigt wird.
Verschiedene Wege der Re-Fiktionalisierung
Nachdem der Virus sich längst auch in das Genre-Kino "eingeschlichen" hat – etwa in No One Sleeps (Deutschland 2000) von Jochen Hick mit einem Serienkiller, der HIV-Überlebenden ihr bisschen Glück nicht gönnt – und bekannte deutsche Jungdarsteller in ästhetisch ansprechenden Werbespots der Aidskampagne zu sehen sind, geht der iranische Meisterregisseur Abbas Kiarostami auf Initiative der Vereinten Nationen ganz andere Wege: In seinem dokumentarisch wirkenden, dem Anspruch nach aber fiktiven Film ABC Afrika (2001) begibt er sich mit kleinen Digitalkameras auf Spurensuche nach Uganda, wo allein 1,6 Millionen Kinder durch Aids zu Waisen geworden sind.
Autor/in: Holger Twele, 21.09.2006