Rock'n'Roll als Lehrfach an der Schule? Über die Unsinnigkeit dieser Idee herrschte bisher auf allen Seiten Einvernehmen. Die Beschäftigung mit Rock'n'Roll galt als zuverlässiger Weg, sich – entgegen allen schulischen Prinzipien – niemals zu einem nützlichen Mitglied der Gemeinschaft zu entwickeln oder gar erwachsen zu werden. Letzte Protagonisten dieser hehren Vorstellung waren der Frührentner und "Prince of Darkness" Ozzy Osborne, in seiner eigenen MTV-Show eine blendende Karikatur des zugedröhnten Rock'n'Roll-Daddys, sowie der Komiker Jack Black als manischer Schallplattenverkäufer Barry in Stephen Frears' Nick-Hornby-Verfilmung
High Fidelity. Dort musste der Poparchivar ohnmächtig zusehen, wie sein Kollege John Cusack dem Rock abschwörte, um ohne dieses Glaubensbekenntnis endlich ins "richtige" Leben zu treten.
Ein Rockmusiker als Lehrer
In
School of Rock kehrt Jack Black als der Rockmusiker Dewey Finn zurück und zwar keineswegs als "Opfer" eines geistigen Reifeprozesses. Er wird im Gegenteil wegen unzumutbar alberner Bühneneskapaden aus seiner Band geschmissen. Dewey lebt den Rock und spürt ihn in jeder Ader seines schwabbeligen Körpers. Über seine Elektrogitarre ließ er die Welt daran teilhaben. Als die Welt nicht mehr zuhört, ist Dewey arbeitslos. Um die Miete zahlen zu können, erschleicht er sich unter falschem Namen eine Aushilfsstelle als Lehrer an einer Eliteschule. Doch was soll er unterrichten? Seine Kompetenz erschöpft sich in den wegweisenden Gitarrensoli von AC/DC bis Alice Cooper. Das Lesen hat er offensichtlich nur gelernt, um Plattencover und Bandnamen zweifelsfrei zuordnen zu können. Also lehrt Dewey seine elfjährigen Eleven das Rocken.
Rebellion ist out
Die dafür unabdingbare Gründung einer Band stößt allerdings auf erhebliche Widerstände. Er muss nicht nur sein fortschrittliches "Schulprojekt" vor der gestrengen Schulleiterin Rosalie Mullins (gespielt von John Cusacks Schwester Joan) geheim halten, die Kids selbst, erschreckend erwachsene Duplikate ihrer snobistischen Eltern, stellen Deweys unkonventionelle Lehrmethoden fortwährend in Frage. Der Paradigmenwechsel ist offenkundig: Die Rebellion gegen die bürgerliche Norm steht nicht mehr auf dem Stundenplan heutiger Adoleszenz. Deweys skeptischen Schülern/innen dürstet es nach gutem Unterricht und, noch schlimmer, nach guten Noten. Der Rock'n'Roll, der doch nie sterben sollte, ist bei ihnen nicht angekommen.
Leistungsdenken und Rockmusik
In solchen Fällen hilft nur massive Überzeugungsarbeit – und eine fast schon autoritäre Pädagogik. Das Musikgenie der Klasse wird gegen lautstarken Protest mit Gitarre und Arrangements betraut und die schüchterne Cellistin bekommt die Rolle des Bassgitarristen, der ohnehin nie viel zu sagen hat. Nach der Besetzung von Schlagzeug, Backgroundgesang und Banddesign findet sich sogar eine Managerin: Die Klassenstreberin erliegt Deweys Flehen und der Aussicht auf den großen Erfolg: Am Ende aller Bemühungen steht der Talentwettbewerb "Battle of the Bands". Wer Deweys School of Rock durchlaufen hat, wird sich auch in der Ellenbogengesellschaft der Erwachsenen zurechtfinden. Schließlich mussten sich auch Led Zeppelin, Black Sabbath oder The Who mühsam nach oben kämpfen. Auf amüsante Weise kontrastiert hier das Leistungsdenken gerade des Hardrock mit Deweys fanatischem Glauben an dessen befreiende Kraft.
"Spielerisches" Lernen
Es wird Dewey keineswegs gelingen, der MTV-Generation sein fortgeschrittenes Losertum als erstrebenswerten Lebensstil zu verkaufen. Aber der erwachsene Kindskopf schafft es immerhin, seinen altklugen Schützlingen die Freude am Kindsein neu zu vermitteln. Gleichwohl hat sein Projekt auch erzieherischen Wert: Der Rock'n'Roll dient der Erfahrung der eigenen Möglichkeiten, fördert Kreativität, Durchsetzungsvermögen, Teamwork und den Umgang mit Rückschlägen, wird tatsächlich zur Schule des Lebens. Vor allem aber bringt Dewey seinen Schützlingen bei, dass es Spaß machen kann, für das Leben zu lernen. Indem sich die Kinder stylen, die Haare zur Mähne türmen, sich mit ihrem Instrument in Positur werfen, erfahren sie, dass insgeheim in jedem von uns ein kleiner Rockstar steckt.
Chancengleichheit für alle
Nur mit Hilfe des Rock, so lässt sich Deweys Message zusammenfassen, kann es auch wirklich jede(r) schaffen. Auch Aretha Franklin, ermahnt er eine Schülerin, war nur ein dickes, schwarzes Mädchen wie viele andere. Aber wenn sie gesungen hat, wackelte förmlich die Wand. Hier trifft Regisseur Richard Linklater (
Before Sunset) den weichen Kern der harten Musik mit der genialischen Simplizität eines guten Gitarrengriffs. Die nötige Sensibilität beweist er in der Wahl seiner Kinderdarsteller/innen, die allein nach ihrer musikalischen Begabung besetzt wurden. Es handelt sich dabei nicht, wie zu erwarten, um geltungssüchtige Teenager, sondern um zart besaitete Kinder, die hier nicht nur den Rock'n'Roll lernen, sondern sehr deutlich auch die Scheu vor der Kamera überwinden müssen, was dem Film eine besondere Authentizität verleiht.
Die gesellschaftliche Komponente des Rock
Insgeheim richtet sich diese so schlichte wie umwerfende Komödie natürlich auch an die Erwachsenen, insbesondere an ewige Teenager wie Dewey, den Jack Black mit gewohnter Raserei auf die Bühne bringt. Aber auch an früh vergreiste Leistungsträger/innen wie die Schuldirektorin Miss Mullins, die nach mutigem Zuspruch und ein paar Drinks auf den Tischen tanzt. Linklater ist es mit filmischen Mitteln gelungen, die gesellschaftliche – und vom Alter unabhängige – Dimension des Rock'n'Roll transparent zu machen, so ernsthaft wie selten zuvor. Dewey formuliert es treffender: "I serve society by rocking."
Autor/in: Philipp Bühler, 01.08.2004