Das Kino ist ein Ort der Illusionen, mit denen Hoffnungen und Sehnsüchte verbunden sind. Filme entführen uns relativ gefahrlos in fremde Welten, konfrontieren uns mit Träumen und Albträumen, lassen uns andere Schicksale mit den Figuren empfinden, bangen und hoffen, ermöglichen sinnstiftende Vergleiche mit unserer eigenen Lebenswelt. Darin liegt eine große Chance des Kinos. Gefährlich wird es nur dann, wenn das eigene Leben vollends hinter den Ereignissen auf der Kinoleinwand zurücktritt, das Kino zum Lebensersatz wird, Sehnsüchte nach einem erfüllten und besseren Leben nur im Kinosessel stattfinden und nicht als Ansporn dienen, sie besser in die eigene Realität zu integrieren.
Selbst im Angesicht traumatischer Erfahrungen kann das Kino noch eine "therapeutische" Funktion haben und einen Bewusstwerdungsprozess in Gang setzen. Mit der Erfindung des Kinos entstand zugleich eine Kunstform, die es gestattete, psychologische Vorgänge und innere Erlebnisstrukturen eines Menschen in ihrer Vielschichtigkeit zu visualisieren und einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen. Solche Filme öffnen nicht nur ein Fenster nach außen, sondern sind zugleich Projektionsfläche für die individuellen Erlebnisse der Zuschauenden, für ihre Sehnsüchte wie für ihre erlittenen Traumata. Die Schicksale auf der Leinwand bieten zugleich eine einzigartige Chance, sich aus der Distanz des Gesehenen heraus mit eigenen Erfahrungen und Sehnsüchten auseinander zu setzen, die man normalerweise im Alltag verdrängt oder nicht gerne an sich heranlassen möchte. Auch darin liegt ein Teil der Faszination des Kinos.
Die vorliegende Themenausgabe stellt drei aktuelle und besonders sehenswerte Beispiele aus Neuseeland, der Schweiz und Island vor, in denen Menschen ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihres intellektuellen Entwicklungsstands in eine Krise geraten und sich behaupten müssen: Der neuseeländische Regisseur Brad McGann erzählt in
Als das Meer verschwand in Form eines Thrillers davon, wie seelische Wunden sich im Alltag der Menschen niederschlagen und welche dramatischen Folgen das haben kann – von der Berufswahl bis zur Gewaltausübung gegenüber anderen und sich selbst.
Vitus von Fredi M. Murer aus der Schweiz ist eine Art "Menschwerdungsgeschichte" anhand eines Dramas über ein hochbegabtes Kindes, das sich in ein Doppelleben flüchten muss, um dem übermäßigen Erwartungsdruck der Erwachsenen zu entkommen und ein Stück persönliche Freiheit zu gewinnen. Der philosophisch untermalte Film
Niceland von Fridrik Thor Fridriksson thematisiert die existenzialistische Suche eines geistig leicht zurückgebliebenen jungen Mannes nach dem Sinn des Lebens, den er ausgerechnet von einem schwer traumatisierten Schrotthändler zu erfahren hofft.