Interview
"Das exotische Empfinden war gegenseitig"
Ein Gespräch mit Sung-hyung Cho zu ihrem Film Full Metal Village
Im Film lassen Sie sich die Grundzüge der Agrarkultur erläutern. War Ihre Unwissenheit echt?
Aber ja. Ich kannte Kartoffeln nur im Netz, aus dem Supermarkt. Ich war fast ein wenig schockiert und fing an zu stottern, als Oma Irmchen diese Pflanze aus der Erde zog und eine Kartoffel zum Vorschein kam. Und auch die Szene im Film, als Bauer Plähn anfing, mir den Unterschied zwischen Kühen, Kälbern und Ochsen zu erklären, ist authentisch. Ich komme aus Busan, einer Millionenhafenstadt in Südkorea, und da gibt es weder Kartoffelfelder noch Kühe.
Auf welche Weise haben Sie die Mitwirkenden für Ihren Film gefunden?
Ich habe eineinhalb Jahre recherchiert, viele Dorfbewohner kennen gelernt und langsam meine Protagonisten herausgefiltert. Bei Oma Irmchen mietete ich ein Zimmer. Anfänglich wollte ich nicht mit ihr drehen, aber sie hat zum Frühstück jeden Morgen ihre Fluchtgeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt, das fand ich einfach sehr interessant. Über sie habe ich ihre Enkelin Kathrin kennen gelernt und Bauer Plähn, der im Haus gegenüber wohnt. Uwe Trede ist ein Unikat im Dorf. Jeder kennt ihn und wer irgendetwas mit Wacken Open Air zu tun hat, trifft automatisch auf ihn.
Wie hat die schleswig-holsteinische Dorfbevölkerung auf eine koreanische Filmemacherin reagiert?
Die Dorfbewohner haben ein unkompliziertes Verhältnis zu Fremden. Das ist vielleicht auch eine Folge des Festivals, aber abgesehen davon sind die Leute überhaupt sehr aufgeschlossen, sehr redselig und haben einen deftigen Humor. Ihre Offenheit und meine exotische Erscheinung haben bei dem Projekt sehr viel geholfen. Sie dachten, ich bin wie ein blankes Papier und habe von nichts eine Ahnung. Und über die Landwirtschaft wusste ich tatsächlich nichts. Ich fand es umgekehrt auch sehr fremdartig da oben. Das exotische Empfinden war also gegenseitig und so war es sehr fruchtbar und produktiv.
Warum wollten Sie ausgerechnet einen Film über Wacken drehen?
Mein Thema war von Anfang an der Clash of Cultures, zwei Welten, die aufeinander prallen. Das hängt sicher auch mit meiner eigenen Biografie als Fremde hier in Deutschland zusammen. Auf Wacken kam ich durch einen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, den ich 2002 gelesen habe. Da war ein Bild, wo vier junge langhaarige Männer mit nacktem Oberkörper und Nietengürteln im Supermarkt in der Warteschlange stehen. Im Vordergrund sitzt eine Kassiererin, sie hat einen ganz biederen Haarschnitt und sieht sehr brav aus. Dieser Kontrast hat mich nicht mehr losgelassen. Und dann las ich, dass alles so friedlich abläuft. Ich konnte nicht glauben, dass so etwas möglich ist. Das ist eine Art Utopie, das wollte ich unbedingt mit eigenen Augen sehen.
Fanden Sie den Eindruck der friedlichen Begegnung zweier verschiedener Lebenskulturen vor Ort bestätigt?
Ja, für die Wackener ist das Festival wirtschaftlich wichtig, aber im Großen und Ganzen sind sie auch ziemlich weltoffenen. Beim Open Air arbeiten sie entweder mit, oder sie beobachten neugierig den Trubel um sich herum. Die Metal-Fans wiederum achten sehr auf die dörflichen Regeln. Sie warten geduldig in der Schlange vor dem Lebensmittelgeschäft und gehen auch nicht zum Friedhof, der wirklich ein schönes schattiges Plätzchen ist, weil sie wissen, dass die Wackener das nicht wollen. Die Toleranz und Akzeptanz ist gegenseitig. Und dann tanzen sie zusammen Polonaise. Beide Gruppen haben gelernt, sich friedlich zu arrangieren und zu feiern.
Warum konzentriert sich Ihr Film überwiegend auf die Dorfbevölkerung?
Das war ursprünglich anders geplant. Ich wollte wirklich die zwei Parallelwelten darstellen, das Dorf und die Heavy-Metal-Fans aus aller Welt. Und dann stellte ich fest, dass Wacken und seine Bewohner viel interessanter sind. Die Heavy-Metal-Fans sind einfach zu glücklich während des Open Airs. Sie sind im Siebten Himmel und sie vergessen alle Probleme. Das ist langweilig.
Sie bezeichnen Ihren Film als Heimatfilm. Was bedeutet Heimat für Sie?
Für mich ist Heimat so etwas wie eine kollektive Glückseligkeit. In Wacken haben wir uns alle für eine gewisse Zeit zu Hause gefühlt, wir waren zusammen glücklich. Insofern ist Wacken für mich ein Stück Heimat. Die Bezeichnung "Heimatfilm" ist allerdings auch eine gewisse Provokation meinerseits, denn der Heimatfilm ist in Deutschland negativ besetzt. Ich möchte, dass man diese Begriffe "Heimat" oder "Heimatfilm" neu definiert, positiv formuliert.
Fühlen Sie sich nach 17 Jahren grundsätzlich in Deutschland heimisch?
Manchmal fühle ich mich hier heimisch und werde trotzdem als Exotin angesehen, selbst in dem Dorf, in dem ich wohne. Insgesamt hab ich aber meine Sozialisation in Südkorea erlebt. Ich bin als erwachsene Frau, mit 23 Jahren, aus Seoul nach Deutschland gekommen und habe meine Kultur hierher mitgenommen. Mittlerweile verstehe ich aber mein Fremdsein hier als positiv. Das ist mein Kapital beim Filmemachen, weil ich als Fremde bestimmte Dinge besser sehe als die Deutschen oder Einheimischen, die hier völlig integriert sind.
Wie haben sich die Wackener zu Ihrem Film geäußert?
Bislang haben nur Katrin und Lore und Klaus Trede den Film gesehen, denen hat er sehr gut gefallen, sie haben viel Spaß gehabt. Es war mir sehr wichtig, dass man am Ende des Films nicht über die Protagonisten lacht, sondern mit ihnen lacht. Ich habe die alle sehr geliebt.
Autor/in: Ula Brunner, 29.03.2007
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Germany License.