Hintergrund
Aktive Filmarbeit: Kinder und Jugendliche führen Regie
Die Welt, wie ich sie sehe
Nur diejenigen können der so genannten Bewusstseinsindustrie etwas entgegensetzen, die ihre Methoden durchschauen. Derart progressiv sah es die emanzipatorisch ausgerichtete Medienpädagogik in den späten 1960er- und in den 1970er-Jahren im Anschluss an die kultur- und ideologiekritischen Überlegungen der Frankfurter Schule. Aktive Filmarbeit war dazu ein gutes Mittel. Somit konnte jede und jeder selbst erproben, wie Medien Wirklichkeiten konstruieren. Die technische Entwicklung unterstützte diese Trends, denn mit kleinen Filmkameras und allmählich erschwinglich werdenden Videokameras zeichnete sich eine Popularisierung der Filmtechnik ab. Die Herstellung von Weltbildern blieb nicht länger ein Privileg kommerzieller Konzerne. Von nun an konnte eine Gegenöffentlichkeit geschaffen werden, die einen anderen Blickwinkel einnehmen, Position beziehen und auf sich aufmerksam machen konnte. Genau diese Chance greift die aktive Filmarbeit von und mit Kindern und Jugendlichen auch noch heute auf, wenn mit Hilfe von Filmen die eigene Lebenswelt gezeigt, die eigenen Interessen und Meinungen artikuliert und zur Diskussion gestellt werden. Die Auseinandersetzung mit filmischen Manipulationsstrategien allerdings steht heute nicht mehr im Mittelpunkt der aktiven Filmarbeit, sondern ist vielmehr ein Nebenprodukt.
Teamwork, Kreativität und Medienkompetenz
Die Arbeitsteilung bei der Vorbereitung und den Dreharbeiten verlangt den jungen Filmschaffenden Teamarbeit, Kritikfähigkeit und kooperatives Verhalten ab. Somit fördert das Projekt als Gemeinschaftserlebnis auch soziale und kommunikative Kompetenzen. Darüber hinaus macht die Wahl der filmischen Ausdrucksmittel mit den Besonderheiten des Mediums vertraut, fördert den kritischen, selbst bestimmten und selbstbewussten Umgang mit Medien und gibt Raum zum Experimentieren und erforschenden Lernen. Die pädagogischen Ziele der aktiven Filmarbeit können sich also je nach Schwerpunkt der Projekte sowohl auf den Prozess der Filmherstellung und die soziale und kognitive Entwicklung der Filmemacher/innen als auch auf das fertige Produkt beziehen.
Vielfältige Strukturen
In den letzten drei Jahrzehnten hat sich in Deutschland eine rege aktive Filmarbeit entwickelt, die von gemeinnützigen Vereinen wie dem Medienzentrum Parabol in Nürnberg (seit 1983) und dem Medienprojekt Wuppertal (seit 1992) bis hin zur selbst organisierten Filmschule filmArche e.V., von gemeinnützigen GmbHs wie dem institut für neue medien in Rostock, von Jugendzentren oder Workshops in Kindergärten und Kindertagesstätten medienpädagogisch begleitet wird. Auch Projekte wie die von Vision Kino gGmbH – Netzwerk für Film- und Medienkompetenz unterstützte Initiative Kinder machen Kurzfilm! gehören dazu. Mit der Einführung der Ganztagsschule öffnen sich zunehmend auch Schulen für Film-AGs, in denen Schüler/innen aktiv Erfahrungen mit dem Medium sammeln können. So sieht das Programm Kultur und Schule in Nordrhein-Westfalen seit dem Schuljahr 2006/2007 beispielsweise vor, Künstler/innen – unter anderem Filmschaffende – als Projektlehrer/innen zu engagieren und den Schulunterricht nach außen zu öffnen. Neben solchen betreuten Projekten greifen natürlich immer wieder Kinder und Jugendliche selbst zur Kamera und stellen als Autodidakten eigene Filmproduktionen auf die Beine. Viele arbeiten auch gerne mit kurzen Filmschnipseln – mit Camcordern, Handys oder Webcams gedreht – und stellen diese auf Videoportalen wie YouTube, Cineschool oder MySpace ein.
Hollywood den Spiegel vorhalten
Die Themen in den Filmen der Kinder und Jugendlichen sind vielfältig. Beliebt sind – wie in Garth Jennings nostalgischer Komödie
Der Sohn von Rambow – eigene Versionen von bekannten Vorbildern. Mit Star
Wars VII präsentierte die KiTa Feuerwache in Frankfurt am Main 2007 beim Bundesfestival Video eine ebenso eigenwillige wie charmante Fortsetzung der Science-Fiction-Saga. Die Macher/innen waren sieben bis zehn Jahre alt. Aber es finden sich auch subtilere Themen und sehr persönliche Geschichten. Der aktuelle Festivaljahrgang zeichnete sich durch vielschichtige Spiel- und Dokumentarfilme über die Ängste von Jugendlichen und ihre Auseinandersetzung mit Partnerschaft, Sexualität oder dem eigenen Wohnort aus. Erfrischend unkonventionell setzten die Macher des Leverkusener Jugendtreffs Derrsiedlung in
Fichtestraße ihren "Block" in Szene und vermittelten einen authentischen Einblick in ihre Lebenswelt, von der ethnischen Herkunft über Religion, Musik und Liebe bis hin zu Zukunftsperspektiven. Bereits zum 21. Mal bot das vom Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland (KJF) veranstaltete Bundesfestival Video in diesem Jahr jungen Regisseuren/innen eine Plattform. Dort wird eine Auswahl der Filme gezeigt, die zum Deutschen Jugendvideopreis eingereicht wurden, im Jahr 2008 immerhin 457 Produktionen von mehr als 3.500 Teilnehmern/innen zwischen vier und 25 Jahren. Darunter fanden sich sowohl pädagogisch begleitete als auch selbst organisierte Initiativprojekte von Kindern und Jugendlichen. Was diese Filme so spannend und wichtig macht – für die Macher/innen wie für die Zuschauenden –, ist die Art und Weise, wie mit dem audiovisuellen Medium ein authentischer Blick aus der Welt der Kinder und Jugendlichen sichtbar wird.
Wo bleibt die Medienpädagogik?
Im Gegensatz zu den Eigenproduktionen, die ohne medienpädagogische Anleitung entstehen, liegt die Stärke betreuter Projekte gerade darin, dass jene Prozesse, die der renommierte Medienpädagoge Stefan Aufenanger einmal als "Transformationsprozesse" beschrieben hat – von Passivität zu Aktivität, vom Erleben zum Erfahren, vom Handeln zum Denken, von Information zu Wissen –, professionell unterstützt werden. Kreative Mediengestaltung beinhaltet dabei nicht nur technisches Know-how und Ausdrucksfähigkeit, sondern auch Verstehen und Selbstreflexion. Dabei haben sich die Rahmenbedingungen für aktive Filmarbeit insbesondere in den letzten zehn Jahren sehr verändert. Waren die Medienzentren und medienpädagogischen Einrichtungen früher die Orte, die über Aufnahme- und Schneidetechnik verfügten, so haben technischer Fortschritt und Preisentwicklung dazu geführt, dass nahezu jeder Heimcomputer als Schnittsystem funktioniert und zunehmend kostenfreie Software für die Videobearbeitung im Internet angeboten wird. Damit wandelt sich auch die Rolle der Medienpädagogen/innen bei Projekten freier Videogruppen, die eventuell keine technische Unterstützung mehr benötigen. In den Mittelpunkt rücken die Beratung, das Arrangement von Lernumgebungen und die Funktion als Netzwerk. Darüber hinaus kommt den Medienpädagogen/innen als Veranstalter/innen von Nachwuchs-Filmfestivals eine besondere Bedeutung zu. Denn hier erleben junge Filmschaffende, wie ihre Geschichten tatsächlich bei einem gleichaltrigen und kritischen Publikum ankommen. Auf Kinder- und Jugendfestivals wie dem Bundesfestival Video, der Werkstatt für junge Filmer oder dem KiFinale/JuFinale wird die Vielfalt der jungen Lebenswelten deutlich. Sie stehen auch Erwachsenen offen.
Medientipps
Bewegliche Ziele
Kinder machen Kurzfilm!:
www.bewegliche-ziele.de
Deutscher Jugendvideopreis:
www.jugendvideopreis.de
filmArche:
www.filmarche.de
Junge Filmszene des BJF:
www.jungefilmszene.de
Medienzentrum Parabol, Nürnberg:
www.parabol.de
Medienprojekt Wuppertal:
www.medienprojekt-wuppertal.de
Autor/in: Stefan Stiletto, Medienpädagoge mit Schwerpunkt Filmkompetenz und Filmbildung, 29.07.2008
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