Hintergrund
Die Trommels – starke Außenseiter. Figurenanalyse einer Familie
Familie Trommel ist in Pummelstadt hochangesehen. Ihr Hot Dog Stand gehört beim großen Sommerwettstreit zu den großen Attraktionen. Herr Trommel ist unumstritten der beste Koch der Stadt und seine Frau hilft ihm, wo sie nur kann. Auch Dik, ihr Sohn, liebt die kulinarischen Köstlichkeiten seines Vaters: Rund, fröhlich und selbstbewusst tritt er mit einem Hot Dog in der Hand zum Wettstreit der Turmspringer an – und siegt. Als Herr Wichtigtuer und seine Kollegen Herrn Trommel an diesem Feiertag auch noch die Leitung eines Restaurants anbieten, erfüllt sich für ihn ein langgehegter Traum. Ohne Zögern zieht die Familie am nächsten Tag mit Sack und Pack nach Dünnhafen. Dort scheint ihrem Erfolg zunächst nichts im Wege zu stehen: Das Restaurant ist ansprechend eingerichtet und der Nachbar hilft gar beim Möbeltragen. Familie Trommel hat zudem großes Selbstvertrauen, die neue Aufgabe zu meistern.
Innen und Außen
Genau wie seine Eltern glaubt Dik, die Hauptfigur in
Trommelbauch, fest an sich, was sich unter anderem in seinem zufriedenen Lächeln und seiner erwartungsfrohen Grundhaltung spiegelt. Sein Äußeres ist ihm hingegen gleichgültig: Er trägt stets eine halblange Hose, Hosenträger und ein gestreiftes Shirt. Herr und Frau Trommel wiederum haben eine Vorliebe für auffallende
Farben: Diks Vater trägt meist eine weiße Kochschürze, außerhalb der Arbeit kleidet er sich jedoch in helle Anzüge mit grellbunten Krawatten. Frau Trommel bevorzugt ebenfalls farbenfrohe Kleidung, die sie sorgfältig ausgewählt hat. Ihre Frisur erinnert an kleine Waffelröllchen, die hier und da noch hübsch geschmückt sind. In Pummelstadt entsprachen die Trommels damit den dortigen Schönheitsvorstellungen, in Dünnhafen dagegen wirken sie wie Fremdkörper. Hier beherrschen schlanke Silhouetten, Pastelltöne und dezente Farben das Aussehen der Stadt und ihrer Bewohner/innen. Mit ihren ähnlichen Frisuren, Sportgeräten, Bewegungen und Ansichten sind die Dünnhafener kaum voneinander zu unterscheiden. Aber nicht nur ihre äußere Erscheinung, auch ihre Kommunikationsformen unterscheiden sich deutlich voneinander. Die Dünnhafener Hauptfiguren zeigen sich zu Hause weder als vollständige Familie, noch lassen sie in der Elternteil-Kind-Beziehung eine emotionale Verbindung erkennen. Im Umgang miteinander bestimmen stattdessen Maßregelungen und Kritik den Ton. Der familiäre Umgang der Trommels hingegen zeichnet sich durch herzliches Teilen von Erfahrungen und Gedanken aus. Die Bilder veranschaulichen dies durch
Nahaufnahmen familiärer Fröhlichkeit und warme Farbtöne.
Umgang mit ersten Enttäuschungen

Herr Trommel erlebt als Erster im kalorienbewussten Dünnhafen eine Enttäuschung: Der Supermarkt bietet nichts von dem, was er zur Zubereitung seiner Speisen benötigt. Noch glaubt er naiv an einen Mangel, der durch sein Restaurant behoben werden kann, deshalb bestellt er die Zutaten außerhalb. Doch dann stellt er fest, dass er sich irrt, und seine Kochkunst in Dünnhafen mehr als kritisch bewertet wird. Er muss sich umstellen, wenn er hier bestehen möchte. Seine Frau wiederum muss beim Einkauf in der örtlichen Modeboutique feststellen, dass ihr alle Kleidungsstücke zu eng sind – eine Tatsache, der sie mit Tatkraft, Einfallsreichtum und der eigenen Nähmaschine begegnet. Dik steckt die ersten Enttäuschungen am besten weg. Zwar ist die Schulbank zu klein, die neuen Mitschüler/innen lachen und Nachbarsjunge Viktor beschimpft ihn als "Fettwanst", aber er lässt sich dadurch nicht einschüchtern. Unerschrocken greift er ein, als Viktor in der Schule den schwächeren Mitschüler Hans attackiert. Dik ist ein solches Verhalten vollkommen unbegreiflich und so nimmt er Hans unter seine Fittiche. Im Gegenzug klärt ihn Hans über die ungeschriebenen Gesetze von Dünnhafen auf.
Die Wahrnehmung verschiebt sich
Dass die Dünnhafener sie wegen ihrer Körperfülle herablassend behandeln, stört die Trommels zunächst wenig. Vielmehr bedauern sie die schlanken Einwohner/innen, denen offenbar der Sinn fürs Genießen fehlt. Doch es trifft Frau Trommel empfindlich, als deren Herablassung in offene Verachtung umschlägt. Hinzu kommt, dass ihr Restaurant trotz aller Bemühungen leer bleibt. Um das eigene Selbstwertgefühl wieder herzustellen, bemüht sie sich um Anpassung. Herr Trommel sieht die Dinge anders als seine Frau. Für ihn ging der größte Wunsch in Erfüllung, als ihm Herr Wichtigtuer probeweise die Restaurantführung anbot. Doch jetzt erweist sich die Umsetzung seines Traums als die größte Herausforderung seines Lebens: Er ist gezwungen zu wählen: zwischen seinen Überzeugungen und den Wünschen seiner Kunden/innen. Denn die Dünnhafener wollen weder Burger, Hot Dogs noch Schnitzel, sondern kalorienarmes, gesundes Essen. Als Frau Trommel gegen den Willen ihres Mannes die Speisekarte radikal umstellt, kommen die Gäste endlich in Scharen.
Ungewohnte Uneinigkeit
Aber was macht glücklich? Dazugehören? Sich selbst treu bleiben? Frau Trommel verändert nicht nur erfolgreich die Speisekarte, sie versucht auch, durch Fitness und kalorienarme Kost abzunehmen. Dies macht ihr zunächst sogar Freude, zumal Nachbar Rolf, der Betreiber des Fitnessstudios, ihre Bemühungen anerkennend beobachtet. Ihr Mann hingegen verweigert die Anpassung. Zwar bereitet er im Restaurant die neuen Speisen zu, für sich selbst und Dik bleibt er aber bei den bewährten Kalorienbomben. Damit Frau Trommel das nicht bemerkt, stellt er Süßigkeiten in Gemüseform her: Marzipanmöhren und Paprika aus weißer Schokolade. Doch das familiäre Gleichgewicht ist nicht mehr im Lot. Dik, der sich mit diesem "Schummelgemüse" bei der hübschen Lieve beliebt macht, wird jäh aus seinen Glücksgefühlen gerissen, als Viktor sein Geheimnis entdeckt. Viktor zwingt Lieve, deren Mutter auf keinen Fall etwas von den verbotenen Genüssen merken darf, Dik aus dem Weg zu gehen. Dik beginnt daraufhin, vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben, an sich und seinem Äußeren zu zweifeln. Herr Trommel, der sofort spürt, dass es seinem Sohn nicht gut geht, kann ihm bei dem Problem nicht helfen, doch er lässt ihn seine Nähe und Anteilnahme spüren. Denn Herr Trommel, der sich inzwischen auch öffentlich gegen die Neuerungen seiner Frau zur Wehr setzt, möchte vor allem eines erhalten: die familiäre Zufriedenheit. Mit vereinten Kräften muss es doch einfach möglich sein, auch unterschiedliche Bedürfnisse zu verbinden.
Autor/in: Rotraut Greune, Medienpädagogin und Sachbuchautorin, 28.03.2013
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