Haifaa Al Mansour, geboren 1974, ist die erste Filmemacherin Saudi-Arabiens und ein Sprachrohr der weiblichen saudischen Gesellschaft, der sie Gehör verschaffen möchte. Sie studierte Literatur in Kairo und Regie und Filmwissenschaft im australischen Sydney. Bereits für ihre ersten Werke, drei Kurzfilme und die Dokumentation
Women without Shadows (Saudi-Arabien 2005), fand Al Mansour international viel Beachtung. Als Künstlerin, die Tabuthemen aufgreift, polarisiert sie die Menschen in ihrer Heimat. Sie wird gleichermaßen geschätzt und geschmäht.
Das Mädchen Wadjda (Wadjda, Deutschland, Saudi-Arabien 2012) ist ihr erster abendfüllender Spielfilm. Haifaa Al Mansour lebt mit ihrer Familie in Bahrain.
Welche autobiografischen Bezüge gibt es in Ihrem Film Das Mädchen Wadjda?
Wie meine Heldin stamme ich aus einer ganz typischen traditionellen Mittelklasse-Familie. Ich habe elf Geschwister, eine staatliche Schule besucht und wie Wadjda zu meiner Schuluniform Turnschuhe getragen. Meine Eltern sind nicht reich, sie sind nie gereist und können kein Wort Englisch. Sie haben mich aber immer darin bestärkt, meinen Weg zu gehen. Mir ging es darum, etwas von diesem Lebensgefühl in meinem Film zu transportieren.
Wie entstand die Idee zu diesem Film?
Ich wollte eine Geschichte aus meiner Heimat erzählen und das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne beleuchten. Es ist vor allem das Fahrrad, das als Signum für Mobilität und Freiheit in dieser Geschichte so exemplarisch für den gesellschaftlichen Umbruch steht. Mir lag es am Herzen, Frauen und Mädchen in ihrem Zutrauen zu sich selbst zu bestärken, gleichzeitig wollte ich aber meine Heimat nicht generell verteufeln.
Warum wollten Sie den Film ausgerechnet in Saudi-Arabien realisieren, wo Kinos verboten sind?
Ich war mir bewusst, dass es sehr schwierig sein würde, einen Film dort zu realisieren. Aber ich wollte einen authentischen Film machen, und so gab es für mich keine Alternative. Die saudi-arabische Gesellschaft ist gerade im Begriff, die Freiheiten für Künstler und Frauen zu vergrößern. Diese Entwicklung erhöht natürlich die Motivation. Zudem wollte ich den Menschen Bilder und Eindrücke aus einem Land vermitteln, das vielen völlig fremd ist.
Unter welchen Bedingungen haben Sie gedreht?
Ich hatte mit diversen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber immerhin ist es in diesem Land möglich, Drehgenehmigungen zu erhalten. Das verdanken wir dem Fernsehen. Allerdings ist das ein langer Prozess, man muss viel Geduld mitbringen. Die Redakteure im Fernsehen sind sehr sensibilisiert für die Zensur, sie lesen die Manuskripte ganz genau.
Sie sprechen von Zensur. Worauf muss man da achten?
Ach, da gibt es viele Dinge, die nicht erwünscht sind: vor allem Bilder von nackten Körpern, Küsse und Sexszenen, aber auch Kritik an der Landespolitik oder an der Religion. Aber das hat mich alles nicht tangiert, ich konnte meine bedeutungsvolle Geschichte auch ohne all das erzählen.
Gab es auch Unterstützung vom saudischen Staat?
Einen Fonds für finanzielle Unterstützung gibt es in Saudi-Arabien nicht, das Kino ist in dieser Region Neuland. Aber eine Drehgenehmigung ist schon sehr wertvoll, denn damit erhält man zum Beispiel auch Hilfe seitens der Polizei, wenn es etwa darum geht, Straßen für Dreharbeiten zu sperren.
Mit welchen weiteren Problemen waren Sie speziell als Frau bei den Dreharbeiten konfrontiert?
Unsere segregative Gesellschaft machte es erforderlich, dass ich bei allen Außenszenen in einem Wagen sitzen und meine Anweisungen per Walki-Talki erteilen musste. Hinzu kommt, dass wir saudischen Frauen eine schlechte Straßenkenntnis und Orientierung haben, weil wir es nicht gewohnt sind, uns ohne Begleitung im Land zu bewegen. Man ist ja ständig auf einen Fahrer oder eine männliche Begleitung angewiesen.
War es schwierig, männliche Darsteller für diesen Film zu casten?
Keineswegs, alle saudischen Männer träumen davon, Schauspieler zu sein.
Es ist für sie also kein Problem, in einem Film unter der Regie einer Frau mitzuwirken?
Ich bin mir sicher, dass vielen von ihnen ein männlicher Regisseur lieber gewesen wäre. Aber der Verlockung einer guten Rolle konnten sie dann doch nicht widerstehen. Eines ist natürlich klar: Wäre ich ein Mann, hätten sie vor mir größeren Respekt gehabt.
Wie gestaltete sich das übrige Casting? Wie fanden Sie vor allem Ihre wunderbare junge Hauptdarstellerin?
Unsere erwachsenen Schauspielerinnen konnten wir problemlos über unsere saudische Fernsehlandschaft akquirieren. Schwierig war die Besetzung der jugendlichen Hauptdarstellerin. Da mussten wir auf Produktionsfirmen zurückgreifen, die regelmäßig Kinder für TV-Filme oder kleinere Theaterproduktionen suchen. Waad Mohammed stieß erst spät zu unserem Team dazu – in Jeans, Turnschuhen und unordentlich gekämmt. Sie sprach kein Englisch, aber sie hatte eine wunderbare Stimme und konnte jedes Wort mitsingen.
Warum dürfen sich Frauen nicht unverschleiert vor der Kamera zeigen?
In Saudi-Arabien müssen Frauen auf den Straßen und in der Öffentlichkeit den Schleier anlegen. In den Innenräumen besteht dieser Zwang jedoch nicht – das unterscheidet uns vom Iran. Allerdings gelten bestimmte Kleidervorschriften. Zu viel nackte Haut ist nicht erwünscht, Arme und Beine sollten bedeckt sein.
Seit diesem Jahr dürfen saudische Frauen Fahrrad fahren. Hat das Ihr Film bewirkt?
Der Film hat auf alle Fälle eine Debatte losgetreten. Ich muss allerdings dazu sagen, dass wir es wirklich mit einem sehr bescheidenen Fortschritt zu tun haben, denn die Frauen brauchen von ihren Vätern oder Männern die Einwilligung und dürfen nur in männlicher Begleitung radeln. Aber immerhin tut sich etwas. Und das auch auf politischer Ebene: Ab 2015 dürfen saudische Frauen wählen.
Ihr Film wurde auf dem Festival in Dubai gezeigt. Wie wurde er dort aufgenommen?
Der Zuspruch war enorm und zeigt, wie wichtig es ist, die Stimme zu erheben. Viele Araber sind auch stolz, wenn aus ihren Ländern ein preisgekröntes Werk hervorgeht. Mich hat das große Echo sehr berührt. Und auch in Saudi-Arabien wird es bald Möglichkeiten geben, den Film zu sehen. Zwar nicht im Kino, dafür aber im Fernsehen und auf DVD. Eine Kinokultur müssen wir ja erst noch aufbauen.