Symbole, die einschlagen wie ein Blitz und vor dem Hintergrund menschlichen Leidens die Gleichgültigkeit der Historie erhellen, Farbe und Licht, die sich zum Schrei der Sprachlosen formieren, zeichneten Zhang Yimous Debütfilm
Das rote Kornfeld aus. So unverwechselbar wie die Rotschattierungen dieser expressiven Filmsprache sollten Zhang Yimous Heldinnen werden. Rebellinnen aus Not, Freigeister aus Neigung – ihre Versuche, sich aus überkommenen Traditionen zu befreien, zogen Tod und Umnachtung nach sich. Mit
Die Geschichte der Qiu Ju erlaubte sich Yimou 1992 einen Ausflug in die chinesische Gegenwart, der kaum Anlass zu Optimismus bot. Die Bäuerin Qiu Ju begibt sich für ihren gedemütigten Mann auf die mühsame Suche nach Gerechtigkeit. Hochschwanger durchläuft sie die verschlungenen Pfade einer intriganten und korrupten Bürokratie. Am Ende setzt sich nicht Gerechtigkeit, sondern dogmatisches Recht durch.
Laienspiele
Qui-Jus Hartnäckigkeit scheint auf die 13-jährige Minzhi übergegangen zu sein, die in Zhang Yimous 1999 gedrehtem Film
Keiner weniger die Hauptrolle spielt. Und doch hat sich das Filmschaffen des Regisseurs, der mit
Leben! (1994) und
Shanghai Serenade (1995) zwischendurch eine Inflation des eigenen, allzu symbollastig gewordenen Stils hinnahm, radikaler verändert, als es
Keiner weniger auf den ersten Blick verrät. War
Die Geschichte der Qui Ju noch bis in die kleinsten Rollen hinein mit hochkarätigen Schauspielern besetzt, hat sich Zhang Yimou mittlerweile einer Zusammenarbeit mit Laien verschrieben, die an den iranischen Film erinnert – insbesondere an die Fähigkeit solcher Regisseure wie Abbas Kiarostami und Mohsen Machmalbaf, mit Kindern zu arbeiten und doch keine "Kinderfilme" zu drehen.
Bildung und Armut
Die Geschichte von Minzhi, die tief in der Provinz einen Lehrer vertreten soll, opfert Yimous komplexe Ästhetik einem einfachen Anliegen – und bringt doch mehr hervor als eine Diskussion über das marode chinesische Bildungssystem. Selbst des Unterrichts bedürftig, soll das eher von seiner Provision, als von pädagogischer Begeisterung angetriebene Mädchen dafür sorgen, dass während Lehrer Gaos Abwesenheit wenigstens kein Schüler abhanden kommt. Die kostbare Kreide, die der verzweifelte Lehrer ihr in der notdürftig ausgestatteten Schule anvertraut, wird schon bei Minzhis erstem Auftritt in einem Handgemenge pulverisiert. Armut reibt auch ihren Kontrahenten, den widerspenstigen Schüler Zhang Huike auf. Weil sein Vater verstorben und seine Mutter krank geworden ist, soll der Elfjährige in der Stadt arbeiten, um für das Überleben der Familie zu sorgen.
Erfahrungen am eigenen Leib
Gerade noch verzeihen kann sich Minzhi, dass eine junge Sprinterin aus der Klasse als Talent entdeckt und an einer Sportschule aufgenommen wird. Doch Zhang Huikes Verschwinden will der energische Teenager nicht mehr hinnehmen: Zhang Huike muss zurückkehren – und wenn ihn Minzhi im Gewimmel der namenlosen Metropole selbst sucht. Während das ebenso zähe wie selbstlose Mädchen dem mittlerweile verloren umherirrenden Jungen nachspürt, erfährt sie die Bedeutung ihres Versprechens am eigenen Leibe: Hungrig, hilflos und von einer selbstherrlichen Pförtnerin am Eingang zu der letztendlich rettenden Fernsehstation abgewiesen, begreift sie, warum für Lehrer Gao jedes Kind zählt. Anrührend und staunenswert sind Ausdauer und Anteilnahme, die die halbwüchsige Laiendarstellerin in der Rolle der notgedrungen stündlich dazulernenden Minzhi an den Tag legt.
Auflösung in Harmonie?
Nur das Ende der Geschichte lässt beinahe vergessen, dass Zhang Yimous Filme einmal gesellschaftskritisch waren. Minzhis tränenreicher Auftritt in einer Live-Sendung bringt nicht nur den streunenden Huike zurück auf den richtigen Weg, sondern auch die Partei der lächelnden Kader dazu, sich der vergessenen Dorfschule anzunehmen. Wenn Minzhis Schutzbefohlene am Ende die Spenden bestaunen und Kisten voll farbiger Kreide ausprobieren, drückt sich ihre Freude über die neue Schule, die für sie gebaut werden soll, in propagandareifen Metaphern aus. "Himmel" und "Glück" steht da in rosarot an der Wandtafel, die Schriftzeichen für "Heimat" haben das letzte Wort. Bleibt zu hoffen, dass damit nicht die politische Heimat gemeint ist.
Autor/in: Heike Kühn, 01.08.2000