Ein gewaltiger, diffuser Raum. Hinten ein Portal, in dem zwei Gestalten erscheinen. Ein Scheinwerfer hebt sie aus dem Dunkel hervor. Die eine Gestalt ist golden gepanzert und mit Flaggen besteckt. Das ist der Kaiser . Die andere Gestalt ist zierlich, in blaue Frauengewänder gehüllt, das Gesicht zartrosa. Das ist die Konkubine. Der Kaiser und die Konkubine beginnen ihr Spiel. Sie haben es hunderte von Malen gespielt – in den Jahren zwischen 1924 und 1977. Das sind über 50 Jahre Triumphe und Niederlagen, Umarmungen und Verwundungen, Liebe, Hass und Furcht – 50 Jahre chinesische Geschichte. Jetzt tanzt die Konkubine ein allerletztes Mal für den Kaiser. Er will ihr die Freiheit schenken, denn er hat einen Krieg verloren. Der Feind wird gleich kommen. Er sagt: "Lebewohl, meine Konkubine". Doch die Konkubine liebt den Kaiser mehr als Freiheit und Leben. Sie zieht sein Schwert und ersticht sich.
Äußerstes Pathos
Das ist die Handlung der traditionellen Beijingoper "Lebewohl, meine Konkubine", eine lang ertragene Situation von äußerstem Pathos, das die Herzen des Publikums erschüttert. Und genau dieses Prinzip hat Chen Kaige für seinen Film
Lebewohl, meine Konkubine übernommen. Er reiht solche Situationen zu einem Bilderbogen der emotionellen Höhepunkte zweier individueller Biografien, die untrennbar mit den Katastrophen, also den Umbruchsituationen von 50 Jahren chinesischer Geschichte verbunden sind.
Dramaturgie der Farben
Der letzte Tanz von Kaiser und Konkubine im Scheinwerferkreis ist Endpunkt der gemeinsamen Biografien ihrer Darsteller Xiaolou und Dieyi und zugleich Ausgangspunkt des Films. Es folgt eine Rückblende – mitten hinein in ein anderes Pathos. Eine Frau jagt durch die Massen der Stadt Beijing. Sie will ihr vaterloses Kind in der Theaterschule loswerden. Aber das Kind hat einen Makel, einen sechsten Finger. Die Frau steckt die Hand in Eiswasser und schneidet den Finger ab. Damit wird eines der zahllosen Leitmotive des Films angeschlagen: der Gegensatz von Hitze und Kälte, von Schmerz und Überwindung des Schmerzes, symbolisiert in den Farben Rot und Eisblau. Chen Kaige erzählt die Geschichte nicht nur im Rhythmus der Bilder, sondern auch im Kontrast der Farben.
Freundschaft und Verrat
Es ist die Geschichte einer Freundschaft, die vor Verrat nicht schützt. Der Freundschaft zwischen Xiaolou, dem starken und männlichen Darsteller des Kaisers, und Dieyi, dem zarten, sensiblen Frauendarsteller der Konkubine, der seinen Freund auch körperlich liebt. 1924, in der Zeit revolutionärer Wirren, finden die Kinder zueinander. Es folgt eine Epoche terroristischer Ausbildung. 1932 während des bürgerkriegsähnlichen Wettbewerbs zwischen Kommunisten und Nationalisten, stellen sich erste Erfolge auf der Bühne ein. Ein paar Jahre später gibt es Brüche im Privatleben, denn Xiaolou heiratet eine Prostituierte. 1937 müssen der Kaiser und die Konkubine vor japanischen Invasoren tanzen, 1945 vor den Soldaten der Nationalpartei Guomindang, 1949 vor der kommunistischen Volksbefreiungsarmee. Nahezu unerträglich wird das Schicksal von Xiaolou und Dieyi während der Kulturrevolution. Ihre Rollen werden verboten. Jeder verrät jeden. Es kommt zu entsetzlichen Demütigungen. 1977 dann das Ende der Roten Garden. Zwei Gestalten betreten einen gewaltigen Raum ...
Abrechnung und Versöhnung
Der Regisseur Chen Kaige, Jahrgang 1952, hat mit
Lebewohl, meine Konkubine nach Filmen wie
Gelbe Erde (1984) oder
König der Kinder (1987) seine eigene Abrechnung und Versöhnung mit der chinesischen Geschichte inszeniert. Während der Kulturrevolution hatte er seinen Vater Chen Huaiai denunziert, der ebenfalls als Filmregisseur arbeitete. Zwischen 1969 und 1976 war er in eine Kautschukplantage und später in die Armee verbannt. 1978 konnte er in die Beijinger Filmschule eintreten und neben Zhang Yimou zum Hauptvertreter der "Fünften" Regie-Generation werden. Seine international erfolgreiche Arbeit schützte ihn nicht vor der Zensur im eigenen Land.
Lebewohl, meine Konkubine konnte Kaige nur realisieren, weil er Gelder in Taiwan und Hongkong auftrieb und in Taiwan drehte. Dort wurde der Film dann allerdings genauso verboten wie in der Volksrepublik, weil er das Thema der Homosexualität anschlägt. Und das ist in beiden chinesischen Staaten mit strengstem Tabu belegt.
Aus Schmerzen geboren
Man könnte
Lebewohl, meine Konkubine einen Film nennen, der aus Schmerzen geboren wurde. Und so wirkt er auch auf den Zuschauer: als Werk von grandiosem Pathos wie bei der Konkubine, die sich für ihren Kaiser tötet.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 01.08.2000