Amen. Nicht einfach Amen, sondern Amen Punkt. Aufschlussreich schon die Zeichensetzung: Kein Fragezeichen ist erlaubt, kein Gedankenstrich. Das soll uns sagen: Was folgt, sind Fakten, lange und gründlich recherchiert und so gesichert wie das Amen in der Kirche . Um die Kirche, speziell die katholische, geht es auch, denn
Amen. ist die Filmversion von Rolf Hochhuths seinerzeit heftig umstrittenem Bühnenstück "Der Stellvertreter". Er handelt von der Untätigkeit, wenn nicht gar stillschweigenden Akzeptanz, mit der der Vatikan in der Nazizeit unter dem damaligen Papst Pius XII allen Berichten und Mahnungen über die Judenvernichtung im deutschen Machtbereich begegnete.
Ambivalente Hauptfigur
Im Zentrum der Handlung von Costa-Gavras' Film steht wie schon in der Bühnenversion die authentische Figur des Chemikers und Waffen-SS-Offiziers Kurt Gerstein, der für die Belieferung der Tötungsanlagen mit dem Giftgas Cyclon-B zuständig war. Ein pflichtgetreuer Technokrat, der seine Arbeit tat, zugleich aus christlicher Überzeugung aber versuchte, mit seinem dabei erworbenen Wissen um die Vorgänge das Ausland und speziell den Papst zu Protestaktionen zu bewegen. Vergeblich, wie wir spätestens seit 1963, dem Jahr der Uraufführung von Hochhuths Stück wissen.
Leere Provokation
Seinerzeit warfen katholische Kreise Hochhuth einseitige Propaganda gegen die Kirche vor. Das findet seine heutige Entsprechung in der Kampagne gegen das Filmplakat zu
Amen., das mit einer Kombination aus christlichem Kreuz und Hakenkreuz als Provokation empfunden wird (und werden soll?). Eben da aber liegt die Crux mit Costa-Gavras' Film: Die Provokation insgesamt aber funktioniert nicht mehr. Was vor rund vierzig Jahren Hochhuths Recherchen an neuen Erkenntnissen zu Tage förderten, darf man heute zum kaum mehr umstrittenen Allgemeinwissen zählen.
Veränderte Sehgewohnheiten ...
Wozu aber dann so ein Film heute? Man wird sagen: Um nachwachsende Generationen zu erreichen, für die der "Hochhuth-Skandal" der 60er Jahre ebenso Geschichte ist wie das im Stück bzw. im Film Dargestellte. Das wäre ein denkbares und sicherlich legitimes Interesse – so es denn erreicht würde. Hier aber sind Zweifel erlaubt. Das Gros der heutigen Kinogänger, durch Jahrzehnte lange Dominanz des Hollywoodfilms längst "mainstreamisiert", hat andere Sehgewohnheiten, erwartet eine schlichte Gut-Böse-Dramaturgie und Helden als Identifikationsfiguren. Für beides aber taugt weder Hochhuths Thema noch die zwischen Karrierestreben und Widerstand oszillierende Zentralfigur Gerstein – ein Dilemma, an welchem selbst ein als Regisseur politisch brisanter Themen bestens ausgewiesener Regisseur wie Costa-Gavras (
Z,
Das Geständnis,
Missing,
Music Box) scheitern musste.
... und eine zu wenig veränderte Vorlage
Das beginnt schon mit der Vorlage, die als solide recherchierter, aber nicht unbedingt bühnen- oder gar filmreifer Stoff arg am Wort und an der pointierten These klebt und von der sich das Drehbuch von Costa-Gavras und seinem Koautor Jean-Claude Grumberg nicht ausreichend löste (oder gar wegen Hochhuths Vorbehalten lösen durfte?). So haben die Darsteller (Ulrich Tukur als Gerstein, Mathieu Kassovitz als sein stiller Verbündeter Ricardo in Rom und Ulrich Mühe als ihr perfider Gegenspieler) kaum Spielraum, aus ihren Rollenfiguren wirkliche Charaktere zu gestalten. Vom Regisseur wenig einfallsreich geführt, treten sie ins Bild wie auf die Bühne und liefern Zettelkasten-Dialoge ab, in denen bisweilen gepflegte Polemik, aber kaum je feine Zwischentöne dominieren. Tukurs Gerstein muss zu sehr den positiven Helden abgeben, als dass die Regie seinen inneren Zwiespalt für die Spannung hätte produktiv machen können, und selbst an Ulrich Mühes "Doktor" verliert man rasch das Interesse, weil ihn die Inszenierung zu bruchlos als Inkarnation des Bösen darstellt.
Inszenierter Anachronismus
Wo das Wort so dominant ist, bleibt für das Visuelle wenig Raum. Das ist umso bedauerlicher, als Patrick Blossier, der hier zum fünften Male mit Costa-Gavras arbeitete, sich gerade in dieser Kooperation als besonders kreativer, sogar innovativer Bildgestalter hervorgetan hatte. Der insgesamt stets ein wenig altmodisch wirkenden Inszenierung entspricht der geradezu konservative Einsatz der Musik: Hier ein hämmerndes Staccato, das Bedrohung signalisiert, dort ein paar Takte Tanzmusik oder gregorianische Gesänge, und um den meist untermalenden Klangmischmasch komplett zu machen, darf dann Tukur auch noch ein eigenes Liedchen zum Besten geben. Trauriges Fazit: Auch "wichtige" Filme werden überflüssig, wenn sie zu spät kommen.
Autor/in: Hans-Günther Dicks, 01.03.2002