Hintergrund
Palästinensische Filme – Von der PLO in Richtung Unabhängigkeit
Palästinensisches Filmschaffen hat Ende der 1960er Jahre begonnen, 70 Jahre nach der Erfindung des Films. In den meisten arabischen Ländern, mit Ausnahme Ägyptens, konnte sich ein nationales Kino erst nach der Dekolonisation in den 1950er und 1960er Jahren entwickeln. Zunächst in Algerien und später im palästinensischen Exil stand die Aneignung des Mediums Film in direktem Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Besatzungsmacht. Film bot die Möglichkeit, die eigene Geschichte und Situation darzustellen und zu interpretieren.
Die Geburtsstunde des palästinensischen Films
Durch die Niederlage der arabischen Staaten im Juni-Krieg 1967 (Sechs-Tage-Krieg) hat die erst drei Jahre zuvor in Kairo gegründete Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) an Bedeutung gewonnen. Die Erfahrung, dass die Solidarität mit dem palästinensischen Volk von Seiten der arabischen "Bruderstaaten" mehr rhetorischer denn politisch schlagkräftiger Natur war, hat der PLO einen enormen Zulauf verschafft. Im Zuge dieser Aufbruchstimmung und vor dem Hintergrund, dass palästinensische Filmschaffende, die in den Filmbranchen der verschiedenen arabischen Gastländer gearbeitet hatten, dort technisch zwar einiges lernen konnten, ihre Inhalte jedoch nicht gefragt waren, ist das palästinensische Kino als ein Beitrag zur Befreiung Palästinas in der Diaspora entstanden. Der Kampf des palästinensischen Volkes um Unabhängigkeit und das Leid der Flüchtlinge sollten auch filmisch dokumentiert werden.
Hochzeit in Galiläa
Erste Rückschläge
Bei der Zerschlagung der PLO-Strukturen in Beirut während der israelischen Libanon-Invasion 1982 sind auch die Filmabteilungen und das Filmarchiv zu großen Teilen vernichtet worden. In den folgenden Jahren reduzierte die PLO ihre Filmproduktion erheblich und ging zu Koproduktionen mit dem Westen über, in Tunis wurden die Filmabteilung und das Archiv nicht wieder im alten Umfang aufgebaut.
Unabhängiges Kino im Exil
Gleichzeitig ist im europäischen und US-amerikanischen Exil eine andere Richtung des palästinensischen Films entstanden: das unabhängige Kino. Der wohl bekannteste Vertreter dieser neuen Richtung ist der in Belgien lebende Michel Khleifi, dessen vom ZDF – Kleines Fernsehspiel koproduzierter Film Hochzeit in Galiläa (1987) sowohl Khleifi selbst als auch dem palästinensischen Kino zu einem internationalen Durchbruch verholfen hat. In den Filmen werden nicht mehr ausschließlich die israelische Besatzung Palästinas angeprangert, sondern auch die Strukturen der eigenen Gesellschaft kritisch hinterfragt. Eine wesentliche Motivation hierfür ist gerade in der Bestrebung nach Unabhängigkeit zu finden. Es ist ein Anliegen der Filmschaffenden, demokratische Strukturen in der Gesellschaft zu erhalten, beziehungsweise sie jetzt aufzubauen.
Waiting for Sallah e-Din
Rückkehr der Filmschaffenden
Bis in die Mitte der 1990er Jahre haben nahezu alle unabhängigen palästinensischen Filmschaffenden im europäischen oder US-amerikanischen Exil gelebt. Die meisten von ihnen waren zur Ausbildung dort und machten in den letzten fünf bis sechs Jahren von sich hören. Die Verhandlungen zwischen der PLO und Israel sowie schließlich die Unterzeichnung der Osloer Verträge hat bei vielen von ihnen zunächst die Hoffnung ausgelöst, das kulturelle Leben Palästinas mit Unterstützung der Autonomiebehörde reaktivieren zu können und einige sind zurückgekehrt. Palästina selbst ist durch diese Entwicklungen das Zentrum palästinensischen Filmschaffens geworden.
Subjektivismus und ironische Distanz
In dieser Zeit der Hoffnung und der Ausgestaltung einer eigenen Gesellschafts- und Staatsform hat sich auch das palästinensische Filmschaffen ausdifferenziert. Unabhängige Filmemacher/innen wie Elia Suleiman (
Göttliche Intervention, 2002), Sobhi al-Zobaidi (
Women in the Sun, 1998;
Light at the End of the Tunnel, 2001
, Looking Awry, 2001), Azza El-Hassan (
News Time, 2001), Tawfik Abu Wael (
Waiting for Sallah el-Din, Diary of a Male Whore) oder Hany Abu Assad (
Rana's Wedding, 2002) setzen sich in ihren Filmen nicht mehr ausschließlich mit Fragen der nationalen Identität auseinander, sondern beziehen ausdrücklich ihre eigene Sichtweise in die Arbeiten ein. Es entstehen, so Sobhi al-Zobaidi in einem bisher nicht veröffentlichten Artikel aus dem Jahr 2002: "... Filme, die so fragmentarisch und hybrid sind wie die eigene Definition von Identität der Filmemacherin/des Filmemachers. Es sind persönliche Filme, die eher von Erinnerungen als historischen 'Fakten' leben und eher mit Ironie und Sarkasmus als mit Romantizismus und/oder Patriotismus vermischt sind."
Autor/in: Irit Neidhardt (Kuratorin für Filmreihen aus dem Nahen Osten, mec film Verleih), 21.09.2006