Die Neubrandenburger Luis Zielke und Elias Gottstein sind zwei Schlackse mit wildem Haar und großen Träumen. Mit 17 haben sie sich entschieden, die Schulbank gegen die Straße zu tauschen und reisen seitdem mit Instrumenten, Schlafsack und Generator quer durch die Bundesrepublik. Ein Leben ohne doppelten Boden: kein Schulabschluss, keine Ausbildung, keine Krankenversicherung. Heute sind sie Anfang 20 und singen mit rauen Stimmen von Revolution, fliegenden Autos und dem täglichen Kampf zwischen Bequemlichkeit und Ideal. Sie verbringen ihre Nächte in fremden WG-Zimmern, verlassenen Bahnwärterhäuschen oder im Zelt. Nie bleiben sie lange an einem Ort, die nächste Fußgängerzone wartet ja nur darauf, von ihnen erobert zu werden!
Regisseur Sobo Swobodnik begleitet die jungen Männer "on the road" und setzt dabei nicht auf eine auf Höhepunkt versessene Dramaturgie klassischer Musik-Dokumentationen. Stattdessen konzentriert er sich darauf, die entwaffnende Mischung aus Naivität und Chuzpe ins Bild zu setzen, die beide an den Tag legen. Er dokumentiert die elektrisierenden Auftritte ihrer Band "Guaia Guaia", zeigt aber auch die Härten des Straßenlebens, wenn keine Bleibe in Sicht ist oder jemand krank wird. Wie Luis und Elias lebt der Film im Hier und Jetzt. Es gibt keine
Rückblenden oder Rahmenhandlungen, sondern nur den Moment, der häufig durch
Musik geprägt wird. Auch in der Kameraführung spiegelt sich das Geschehen. So bleibt das Filmteam im Hintergrund, wenn die Gespräche ernster werden, und wird mobil, sobald sich die beiden in Bewegung setzen. Wie nebenbei sind wiederholt Comicelemente in den Film
montiert, die all das zeigen, was die Kamera im Wettlauf mit den beiden Musikern verpasst hat.
Luis und Elias fehlt jegliches Sendungsbewusstsein, sie wollen weder Helden noch Vorbilder sein. Werte wie Freiheit und Freundschaft sind für sie unverzichtbar, sie wollen sich selbst spüren und jenseits der Konsumgesellschaft leben. Diese Sehnsucht nach einem anderen Leben teilen sie mit vielen Jugendlichen, weshalb der Film im Unterricht vielseitige Fragen aufwirft. Die Suche nach eigenen Maßstäben und einer tragfähigen Lebensphilosophie jenseits des Mainstreams kann etwa in Philosophie, Ethik und Religion diskutiert werden. Im Fach Gemeinschaftskunde regt der Film dazu an, die Frage nach der Nachhaltigkeit des eigenen Handelns kritisch unter die Lupe zu nehmen. Eine Analyse der gesellschaftskritischen Songtexte findet im Deutsch- oder Musikunterricht Platz. Grundsätzlich empfiehlt sich eine weiterführende Recherche, da die Band nach Drehende einen Plattenvertrag bei dem Major-Label Universal bekommen hat. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Entwicklung mit ihrer konsumkritischen Haltung verträgt.
Autor/in: Luc-Carolin Ziemann, 03.07.2013
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