Regisseur John Crowley
John Crowley stammt aus der irischen Stadt Cork. Für seine erste Kinoproduktion
Intermission (IE, GB 2003) wurde er als Bester Nachwuchsregisseur mit dem British Independent Film Award ausgezeichnet, Crowleys aktueller Film
Is There Anybody There (GB 2008) feierte seine Weltpremiere auf dem vergangenen Internationalen Filmfestival von Toronto.
Boy A entstand 2007 als britischer Fernsehfilm, lief bislang in den USA, Frankreich und den Beneluxländern im Kino und wurde bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2007 mit dem Preis der ökumenischen Jury ausgezeichnet.
Boy A beruht auf dem Roman von Jonathan Trigell. Was hat Sie an der ungewöhnlichen Geschichte interessiert?
Ich wollte die Zuschauer auf eine Reise mitnehmen, wo sie ihre Sympathien in einen netten jungen Mann investieren, dem sie einfach nur das Beste wünschen. Wenn sie dann nach und nach entdecken, was er getan hat, erzeugt das eine hohe emotionale Spannung. Das hat mich sehr berührt, als ich das Buch las: Wie würde ich mich fühlen, wenn ich feststellen müsste, dass der nette Kerl von nebenan ein Kind getötet hat? Würde die Sympathie so weit gehen, dass ich ihm eine zweite Chance gebe? Es ist eine unbequeme Frage, aber eine sehr wichtige.
Jack erscheint durchweg als positive Figur. Warum haben Sie nicht stärker die Schattenseiten seiner Persönlichkeit gezeigt?
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er wirklich welche hat. Was ihm fehlt, ist ein Gefühl für sich selbst, dafür, wo er hingehört, wo er hin will. Seine Tragödie ist, dass er emotional völlig abgelehnt und allein gelassen wurde. Doch dann lernt er jemanden kennen, der wirklich gefährlich ist. Und er gerät in eine Situationen, wo ihm die moralische Fähigkeit fehlt, zu unterscheiden, was richtig und was falsch ist. Für das Mädchen war es mehr oder weniger ein unglücklicher Zufall, diese beiden Jungen zu treffen.
Das klingt wie eine Entschuldigung.
Nein, aber ich glaube, er ist kein bösartiges Kind. Niemand weiß wirklich, wie man mit der Idee eines kindlichen Mörders umgehen soll, denn sie stellt unsere ganze Vorstellung über Kindheit und Unschuld auf den Kopf. Ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt Sinn macht, mit den Kategorien Gut und Böse zu operieren.
Warum zeigt Jack niemals Reue?
Ich hoffe, er erscheint so differenziert, dass man spürt, dass er sich mit seiner Tat auseinander gesetzt hat. Im Buch wird auch der Prozess der Schuldbewältigung in der Therapie thematisiert. Aber ich wollte mich auf die erste Zeit nach seiner Haft konzentrieren, als er versucht, ein neues Leben zu beginnen.
Ihr Film zeigt verschiedene Formen gesellschaftlicher Gewalt – Vernachlässigung, Gleichgültigkeit, Prügeleien. Wie es zu diesem Mord an dem Kind kommen konnte, lässt er allerdings letztlich offen. Warum?
Der Mangel an elterlicher Fürsorge ist sicherlich ein Grund für diesen Gewaltexzess. Jungen wie Jack und Philip fehlt eine führende und behütende Kraft in ihrem Leben. Und natürlich sollte man alle relevanten sozialen Aspekte betrachten, die auf sie einwirken, aber eine eindeutige Erklärung kann der Film nicht geben. Selbstverständlich wird die große Mehrheit der Kinder mit einem ähnlichen gewalttätigen Hintergrund niemanden ermorden. In
Boy A blicken wir direkt in das "Herz der Finsternis".
Die Ausstattung des Films ist betont reduziert, ohne konkrete Hinweise auf den Handlungsort. Was waren die Gründe für diese minimalistische Ästhetik?
Ich wollte nicht, dass der Film dokumentarisch wirkt. Die Handlung mit dem erwachsenen Jack spielt in Manchester, die
Rückblenden, als er zwölf Jahre alt ist, in einem Londoner Vorort. Aber es hätte in irgendeiner Stadt geschehen können. Jacks Umgebung sollte frei von irgendwelchen konkreten Details sein. Die Räume, in denen er sich aufhält, sind Ausdruck seiner emotionalen Befindlichkeit. Wenn er alleine mit seinen Erinnerungen ist, wirkt sein Zimmer durch den einfallenden Lichtstrahl fast wie ein Gefängnis.
Hätte Jack nach dieser schrecklichen Vorgeschichte jemals eine Chance auf ein normales Leben?
In Bezug auf die emotionale Veränderung, die er durchlebt, ist er ja durchaus erfolgreich. Er findet eine Freundin, überwindet viele Schwierigkeiten, entwickelt Perspektiven. Doch sein Haupthindernis ist die tief in der englischen Kultur verwurzelte Sensationsgier. Da fehlt völlig die Vorstellung, dass ein Mensch, der einmal etwas Furchtbares getan hat, rehabilitiert werden könnte. Das ist der Hauptgrund, warum Jack keine Nische findet in dieser Welt.