Hintergrund
Schule, Lehren und Lernen im Film
Es gibt ein Thema, bei dem alle mitreden können, und das ist die Schule. Wir alle haben mit der Institution positive oder negative Erfahrungen gesammelt, haben sie durchlaufen und gelegentlich durchlitten, haben also Prägendes erlebt. Dementsprechend groß ist die Zahl der Filme, die sich mit der Schulzeit, mit dem Verhältnis zwischen Schülern/innen und Lehrern/innen und auch mit der Art der Wissensvermittlung befassen.
Charisma und Engagement
Hauptakteure/innen und Zentrum vieler kommerziell erfolgreicher Schulfilme sind Lehrkräfte, deren Leidenschaft für ihren Beruf und unkonventionelle Unterrichtsmethodik die Schüler/innen mitreißen. Dieses charismatische Lehrerbild wird besonders in US-amerikanischen Filmen vermittelt. In einem "Schule machenden" Meilenstein des Genres,
Die Saat der Gewalt (
Blackboard Jungle, Richard Brooks, USA 1955) wird der Typus des idealistischen Pädagogen (Glenn Ford) mit der Darstellung einer Problemschule inmitten eines Ghettos in der Bronx verknüpft. Auch
Dangerous Minds – Wilde Gedanken (John N. Smith, USA 1995) spielt in einem konfliktgeladenen Umfeld, in dem ethnische Auseinandersetzungen und Gewalt zur Tagesordnung gehören. Hier gelingt es der Lehrerin und Ex-Marinesoldatin Louanne Johnson (Michelle Pfeiffer) einer Klasse von Latinos und Afro-Amerikanern glaubhaft die Notwendigkeit des Unterrichts, des respektvollen Umgangs miteinander, vor allem aber auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu vermitteln. Der Film, der als "viel zu schön, um wahr zu sein" kritisiert wurde, basiert ebenso auf einer wahren Geschichte wie
Freedom Writers (Richard LaGravenese, USA 2007),
Freedom Writers
wo Hilary Swank als junge Lehrerin Erin Gruwell im Ghetto von Los Angeles unterrichtet. Die Lehrkräfte sind in diesen Filmen stets Einzelkämpfer/innen, die sich sowohl gegen tonangebende Klassen-Machos wie gegen resignierte Vorgesetzte durchsetzen müssen und deren Privatleben durch ihr Engagement beeinträchtigt wird. Doch im Laufe des Films gelingt es ihnen, sich den Respekt, gar die Zuneigung der anfänglich abweisenden Schüler/innen zu erringen. Das Happy-End besteht darin, verfeindete Schülergruppen zu versöhnen und aus kriminellen Milieus zu lösen sowie ethnische Differenzen zu begleichen. Nicht sturer Drill ist das pädagogische Mittel der Wahl, sondern der instinktive Rückgriff auf die schönen Künste wie Musik – in
Dangerous Minds sind es Bob Dylan-Songs - oder Literatur, etwa Anne Franks Tagebuch in
Freedom Writers. Der musische Anreiz zur Kreativität und zum Erkennen der eigenen Gefühle via literarischer Vorbilder wird besonders in
Der Club der toten Dichter (
Dead Poets Society, Peter Weir, USA 1989) demonstriert. Das wohl populärste Schuldrama mit seinem flamboyanten Literaturlehrer John Keating (Robin Williams), der die Schüler für Shakespeare begeistert, gehört jedoch zum Subgenre der Internatsfilme. Anders als in Problemschulen à la
Die Saat der Gewalt geht es hier gerade nicht darum, das schulische Chaos zu bändigen, sondern um die Öffnung elitärer Traditionsschulen – der Film spielt 1959 – für unkonventionelle Ideen. Eine Nebenrolle spielen die Lehrer/innen hingegen in den unzähligen formelhaften High School- und Teenager-Komödien, in denen der Unterricht als Vehikel für Flirts dient und gesellschaftliche Konflikte auf harmlose Schüler-Scharmützel eingedampft werden. Der Arm-Reich-Gegensatz etwa tobt sich in Zickenkriegen aus - der satirischste ist sicherlich
Girls Club – Vorsicht bissig! (
Mean Girls, Mark Waters, USA 2004) mit Lindsay Lohan. In den
Harry-Potter-Filmen ist der erbitterte Kampf der Zauberlehrlinge "reinen" Geblüts gegen
Mudbloods eine eingängige Metapher für Rassismus.
Gegen autoritäre Strukturen
Traditionell befassen sich viele Filme mit der Schule als Ort der Repression und schwarzen Pädagogik. Aus Schülersicht zeigt etwa François Truffauts Klassiker
Sie küssten und sie schlugen ihn (
Les quatre cents coups, F 1959) wie der junge Protagonist Antoine Doinel ein Erziehungsheim durchleidet, in dem ein selbstherrlicher Lehrer ein hartes, patriotisches Regiment führt. Widerspruch, gar Widerstand der Schüler ist zwecklos. Antoine bleibt schließlich nur die Flucht aus der "Besserungsanstalt". Der Film, der die Nouvelle Vague mitbegründete, steht für einen gesellschaftlichen Aufbruch und eine allmähliche Abkehr von autoritären Erziehungsmethoden. Ein ganz ähnliches Thema, allerdings mit positivem Ausgang, behandelt das Schuldrama
Der Traum (
Drømmen, Niels Arden Oplev, DK, GB 2005), das im Jahr 1969 in Dänemark situiert ist. Inspiriert von den demokratischen Idealen des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King lehnt sich der 13-jährige Frits gegen die Prügelmethoden seines tyrannischen Schulrektors auf – und ist am Ende erfolgreich dabei.
Neuer Blick auf das Phänomen Schule
Jenseits der üblichen Polarisierungen – brutale Lehrkräfte oder brutale Schüler/innen – und jenseits dick aufgetragener Kolportage entstanden in den letzten Jahren eine Reihe eigenwilliger Filme, welche die veränderten Realitäten des Phänomens Schule wahrnehmen und aus neuer Perspektive illustrieren. Gus Van Sants nüchternes Drama
Elephant (USA 2003) empfindet die Geschehnisse um das Schulmassaker von
Charlie Bartlett
Littleton im Jahr 1999 nach. Der Film konzentriert sich dabei auf die Perspektive der Schüler/innen, ihren Alltag und ihre Schicksale, begleitet sie in langen Kamerafahrten durch die Schulgänge, bis sich herauskristallisiert, dass zwei von ihnen für diesen Tag ein "High-School-Shooting" geplant haben. In der sarkastischen Komödie
Charlie Bartlett (Jon Poll, USA 2007) wird der Abkömmling einer Elite-Schule auf eine Public School strafversetzt; ungewöhnlich ist das Porträt eines überforderten Direktors, der schließlich erkennt, dass er mit seinen Schülern im gleichen Boot sitzt. Gallebitter hingegen ist die Tragikomödie
Willkommen im Puppenhaus (
Welcome to the Dollhouse, Todd Solondz, USA 1995), die fernab jeglicher High School-Klischees den ganz normalen Schul-Alptraum eines hässlichen Entleins zeigt.
Realistische Darstellungen des Lehrerberufs
Gerade in französischen Filmen wird auch der multikulturelle Schullalltag mit den Lehrkräften als stille Helden/innen thematisiert.
Le plus beau métier du monde (Gérard Lauzier, 1996) lautet der trotzige Titel eines Schuldramas mit Gérard Depardieu als Lehrer, der in einem Pariser Vorort unterrichtet. Auf ähnlich unspektakuläre Weise, realitätsnah und spannend, wirft der dokumentarische
Die Klasse
Spielfilm
Die Klasse (
Entre les murs, Laurent Cantet, 2008), einen Blick auf den täglichen "Kleinkrieg" eines jungen engagierten Pädagogen in einer multiethnischen Klasse (Laiendarsteller François Bégaudeau, ein Lehrer, schrieb die Vorlage). Das nostalgische Gegenstück bildet
Die Kinder des Monsieur Mathieu (
Les Choristes, Christophe Barratier, 2004), ein mit neun Millionen Zuschauer/innen allein in Frankreich enorm erfolgreiches Schuldrama, in dem ein schüchterner Musiklehrer in der Nachkriegszeit bei Fürsorgezöglingen Wunder bewirkt. Authentisches Charisma vermitteln hingegen Nicolas Philiberts Dokumentarfilme
Im Land der Stille (
Pays des sourds, I, F, GB, S 1992) über einen Lehrer an einer Gehörlosen-Schule und
Sein und Haben (
Être et avoir, F 2002), das intime Porträt eines Dorfschullehrers: berührende, unpathetische Darstellungen des Lehrerberufs als Berufung.
Aktuelle Pisa-Debatte?
In Deutschland ist dagegen nach den "Lausbubenfilmen" der Nachkriegszeit, den "Lümmelfilmen" und den schlüpfrigen "Schulmädchenreports" längere Zeit das Thema Unterricht und Lehren im Kino vergessen worden und erst in jüngerer Zeit auf die Leinwände zurückgekehrt. Einen düsteren Blick auf die Institution Schule wirft das semidokumentarische Drama
Der Wald vor lauter Bäumen (Maren Ade, D 2003) mit einer Junglehrerin, die an renitenten Schülern/innen und gleichgültigen Kollegen/innen zerbricht. Mit politischen Machstrukturen setzt sich hingegen
Die Welle
der Kinofilm
Die Welle (Dennis Gansel, D 2008) auseinander, in dem ein beliebter und engagierter Lehrer (Jürgen Vogel) seinen Schülern/innen mit einem Experiment die Mechanismen des Faschismus deutlich machen will. Aber sein Versuch gerät völlig außer Kontrolle und er selber in Gefahr, seiner verführerischen Rolle als Anführer zu erliegen. Doch die aktuellen Pisa- und Rütli-Debatten werden zumindest bisher im deutschen Kino weitgehend ignoriert. Um Authenzität bemühte Einblicke in den heutigen Schulalltag finden sich allerdings in Hubertus Siegerts Dokumentarfilm
Klassenleben (2005). Beispielhaft seien auch einige Fernsehfilme genannt wie
Die Deutschstunde (Theo Teucher 2007) mit einer dreijährigen Beobachtung einer multikulturellen Berliner Oberschule und
Klassenkampf (2008) von Uli Kick.
Autor/in: Birgit Roschy, Publizistin und Filmkritikerin, 11.12.2008
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