In den 1990er-Jahren sorgte der Journalist Tom Kummer mit zahlreichen Interviews für Aufsehen, in denen sich die Stars der Film- und Popwelt ungewöhnlich eloquent und auskunftsfreudig zeigten. Im Jahr 2000 stellte sich heraus, dass die Gespräche größtenteils frei erfunden und teilweise aus literarischen Quellen wie etwa Sachbüchern kompiliert waren. Einer der hinters Licht geführten Redakteure, der damals beim Magazin des Zürcher Tages-Anzeiger tätige Miklós Gimes, besucht Kummer ein Jahrzehnt später in den USA und versucht, seinen Motiven auf den Grund zu gehen.
Als Betroffener hat Miklós Gimes einen "privilegierten" Zugang zum Gegenstand des Films und auch zum Protagonisten selbst. Er unterstreicht dies nicht durch seinen erläuternden
Kommentar, sondern auch durch zahllose
Großaufnahmen, in denen die
handliche Digitalkamera die Funktion eines Lügendetektors zu übernehmen scheint. In den über einen längeren Zeitraum hinweg geführten Gesprächen wechselt Gimes geschickt die Rollen – neutraler Berichterstatter, enttäuschter Freund, möglicher Beichtvater, klammheimlicher Komplize – und gibt dem passionierten Selbstdarsteller Kummer viel Entfaltungsspielraum. So entstehen das Psychogramm eines Hochstaplers und zugleich das aufschlussreiche Sittenbild eines nach spektakulären Inhalten süchtigen Journalismus.
Tom Kummer versteht sich als "Borderline"-Autor, der die Grenzen zwischen Journalismus und Kunst durch radikale Subjektivität verwischt. Seine Veröffentlichungen sind damit Endpunkt und gleichzeitig Travestie des in den 1960er-Jahren etwa von Tom Wolfe und Hunter S. Thompson geprägten "New Journalism", in dem der scheinbar neutrale Beobachterstandpunkt zu Gunsten eines persönlich gefärbten und durch aktive Teilhabe beglaubigten Reportagestils aufgegeben wird. Im Deutsch- und Englisch-Unterricht bietet es sich an, Vor- und Nachteile dieser journalistischen Form an ausgewählten Beispielen zu erörtern, wobei für den Deutsch-Unterricht die Reportagen von Jörg Fauser besonders geeignet scheinen. Ähnlich lohnend könnte ein Blick auf den Typus des Hochstaplers in der Literatur – beispielsweise Thomas Manns
Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1954) oder Walter Serners
Letzte Lockerung (1920) – sein oder die Bearbeitung des Themas im Film, hier vor allem in der
Dokumentation Die Hochstapler (Alexander Adolph, Deutschland 2006).
Autor/in: Michael Kohler, Publizist und Filmkritiker, 03.05.2011
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