Neun Jahre ist es her, dass sich der angehende Schriftsteller Jesse und die Studentin Celine in einem Zug nach Wien kennen lernten und gemeinsam 14 intensive Stunden erlebten. Sechs Monate später wollten sie sich am gleichen Ort wiedertreffen. Doch das Treffen kam nie zustande, Celine zog es nach Paris, Jesse nach New York. Da entdeckt Jesse während einer Autorenlesung in einer Pariser Buchhandlung, bei der er von eben dieser Begegnung aus seinem Buch liest, in der Menge Celine. Obwohl sein Flugzeug in wenigen Stunden startet, nutzen beide die Gunst der Stunde, durchstreifen gemeinsam Paris und versuchen in Gesprächen herauszufinden, ob ihre Gefühle füreinander nach neun Jahren ohne jeglichen Kontakt noch vorhanden sind. – Fast in Echtzeit folgt die Kamera den beiden inzwischen gereiften Liebenden durch Paris, der Ton fängt ihre tastenden, scheinbar belanglosen, aber immer offenen und warmherzigen Gespräche vor der Geräuschkulisse einer pulsierenden Großstadt ein. Als Zuschauender folgt man gebannt ihren Blicken, Gesten, Schritten und bangt mit den beiden, dass die Zeit nicht reichen könnte für eine wirkliche Begegnung über den flüchtigen Augenblick hinaus. Der amerikanische Regisseur Linklater hat die Fortsetzung seines neun Jahre zuvor gedrehten Publikumserfolgs Before Sunrise mit demselben Hauptdarstellerpaar so leicht und beschwingt inszeniert, als würde er selbst schon ewig in Paris leben und wollte Altmeister Eric Rohmer zeigen, wie man kleine Beziehungsgeschichten ohne großen Aufwand noch besser und wirklichkeitsnaher erzählen kann. Das Feel-good-Movie hält, was es verspricht und kommt dabei weit gehend ohne romantische Klischees aus.
Autor/in: Holger Twele, 01.06.2004