Der 12-jährige Giorgio wird von seinem Vater, einem armen Tessiner Bergbauern, an den Kinderhändler Luini verkauft, um nach einem Unfall der Mutter den Arzt bezahlen zu können. In Mailand verkauft Luini Giorgio, dessen Kameraden Stefano und andere Jungen als Gehilfen an Kaminfeger. Giorgio muss schwere und gefährliche Arbeit leisten und leidet dabei unter den Schikanen der Frau sowie des Sohnes von Meister Rossi. Dafür bringt ihm dessen kranke Tochter Angeletta Lesen und Schreiben bei. Eines Tages trifft er Stefano wieder, der mit Leidensgenossen den Bund der schwarzen Brüder gegründet hat, um sich besser gegen die feindliche Jugendbande der "Wölfe" zu wehren.
Der Schweizer Regisseur Xavier Koller, der für sein Migrantendrama
Reise der Hoffnung (Schweiz, 1991) einen Oscar gewann, inszeniert den Kinderbuchklassiker von 1940/41 als bilderstarke Abenteuerreise und erzählt dabei konsequent aus Kindersicht. Dazu passt der gelegentliche Einsatz der
subjektiven Kamera, die Giorgio in die engen Schornsteine folgt. Humor und Slapstick balancieren immer wieder das dramatische Spannungsgefüge aus. Um den 500 Seiten-Roman von Lisa Tetzner, den ihr Mann Kurt Held nach ihrem Tod zu Ende führte, auf Spielfilmlänge zu bringen, haben die
Drehbuchautoren den Stoff aus dem 19. Jahrhundert kräftig gerafft und zum Teil modernisiert, vor allem beim Frauenbild.
Die Literaturadaption bietet einen kindgerechten Einstieg, um ernste Themen wie Kinderarbeit, Ausbeutung, Migration, Krankheit und Tod anzusprechen. Im Fach Deutsch liegt es nahe, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Buch und Film zu analysieren. Warum wurde die Figur der Angeletta erheblich aufgewertet? Warum wurde das erste Romandrittel, das die karge Bauernexistenz im Tessin schildert, stark gekürzt? Im Geschichtsunterricht kann die filmische Darstellung der Kinderarbeit mit den historischen Fakten verglichen werden, die durch eigene Recherchen zu ermitteln wären. Bezüge zur Gegenwart lassen sich im Fach Sozialkunde diskutieren: Ist Luini ein Vorläufer heutiger Menschenschlepper? Und wo dienen noch immer Kinder als billige Arbeitskräfte?
Autor/in: Reinhard Kleber, 15.04.2014
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