Inhalt
Deutschland im Mai 1945: Adolf Hitler ist tot, der Zweite Weltkrieg verloren und für die 15-jährige Lore endet eine behütete Kindheit: Ihre Eltern, ranghohe Nationalsozialisten/innen, werden von den Alliierten verhaftet. Fortan trägt sie für sich und ihre vier jüngeren Geschwister die Verantwortung. Gemeinsam machen sie sich zu Fuß auf den Weg vom Schwarzwald an die Nordsee zur Großmutter. Auf ihrer Reise durch das zerstörte Land werden sie erstmals mit Hunger, Gewalt und Tod konfrontiert. Ausgerechnet in Thomas, der sich als jüdischer KZ-Überlebender ausweist, finden die Geschwister einen Beschützer und Versorger. Sich ihrer Abhängigkeit von Thomas bewusst, tritt Lore – im Glauben an Führer, Volk und Vaterland erzogen – ihm dennoch voller Feindseligkeit entgegen. In ihren Augen ist er, der Jude, "ein Parasit". Doch im Laufe der Zeit gerät Lores politisches Welt- und Menschenbild zunehmend ins Wanken.
Der Film erzählt vor allem aus Sicht der Titelfigur. Deutlich wird dies durch den Einsatz von Subjektiven und
Nah- und Detailaufnahmen. Gelegentliche Totalen lassen die Menschen klein und verloren in weiten Landschaften erscheinen. Lore kann sich keinen Überblick verschaffen, weder über die Situation im Lande noch den Augenblick betreffend – das Gefühl der Bedrohung und Ungewissheit wird so auch für das Kinopublikum spürbar. Zugleich besticht der ruhig erzählte Film durch poetische Aufnahmen, die im Kontrast zum harten Überlebenskampf der Kinder stehen. Innerhalb der kleinen Zwangsgemeinschaft verraten Blicke und Gesten mehr als Worte. Lore zieht sein Publikum – auch dank überzeugender Darsteller/innen – mitten ins Geschehen hinein, was durch die emotionale, aber unaufdringliche
Musik noch verstärkt wird.
Das Mädchen Lore ist ganz das Produkt nationalsozialistischer Erziehung: "Vor dem Sieg gibt es immer Schmerzen", lautet ihre Durchhalteparole. Der Film bietet daher im Fach Geschichte zahlreiche Gesprächsanlässe zu Themen wie Erziehung und Ideologie in NS-Deutschland. Obwohl in der unmittelbaren Nachkriegszeit angesiedelt, ist Lore weniger historisches Drama, als vielmehr innere Wandlungsgeschichte. "Was bedeutet es, das Kind von Tätern zu sein?", diese Frage hat Regisseurin Cate Shortland besonders beschäftigt. All die Werte, die Lore verinnerlicht hat, verlieren in der Konfrontation mit der Realität ihr Fundament. Davon ausgehend regt der Film dazu an, sich mit der Situation der Generation der Täterkinder und deren Vergangenheitsbewältigung zu beschäftigen.
Autor/in: Kirsten Taylor, 05.10.2012
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