Nói lebt mit seiner Großmutter in einem kleinen Ort an einem abgelegenen Fjord im Norden von Island. Der Junge gilt im Ort als Außenseiter, hat seinen Kopf kahl geschoren, schwänzt ständig die Schule, wird von einigen Bewohnern als Störenfried, von anderen als Genie gesehen, das in der winterlich weißen Ödnis nichts mit sich anzufangen weiß. Vom alkoholkranken Vater hat Nói keine Hilfe zu erwarten, Anregung findet er lediglich bei einem Buchhändler, der mit ihm philosophische Schriften diskutiert und ihm Männermagazine zu lesen gibt. Mit Iris, der gerade aus der Stadt in den Ort zurückgekehrten Tochter des Buchhändlers träumt er von einem Leben unter Palmen in der Südsee. Doch realiter scheitern zunächst alle seine Versuche eines Neuanfangs im Leben, bis es zu einer Katastrophe kommt. – Jugendrebellion auf isländisch, spätpubertäre Gährungsprozesse in Eis und Schnee, Probleme des Erwachsenwerdens in einer abgeschiedenen Gegend, die weder Zuflucht noch Fluchtmöglichkeiten bietet, Überlebensstrategien in einem geschlossenen Mikrokosmos: Das beeindruckende Spielfilmdebüt von Dagur Kári ist eine "optimistische Tragödie", die durch das wortkarge, intensive Spiel seiner Hauptdarsteller wie durch großartige, symbolkräftige Landschaftsaufnahmen in kontrastierenden Totalen besticht. So erhebt sich direkt neben dem Ort ein hoher, schneebedeckter Berg, der Schutz bietet, aber gleichermaßen eine bedrohliche Atmosphäre schafft. Solche Bilder braucht das Kino, damit die kleinen Tragödien des Alltags überlebensgroß auf der Leinwand erscheinen und uns zu rühren vermögen.
Autor/in: Holger Twele, 01.11.2003